Unter dem Motto „C the unseen“ lädt Chemnitz im Jahr der Kulturhauptstadt Besucherinnen und Besucher dazu ein, die verborgenen Seiten der Stadt zu entdecken.
Das Monument von Karl Marx prägt als „Nischel“ die Innenstadt.
Noch bis zum 29. Juni beleuchtet das SMAC in einer Sonderausstellung die Bergbaugeschichte der Region.
Die unsichtbare Stadt
Chemnitz ist Kulturhauptstadt Europas 2025 und erwartet zwei Millionen Gäste aus dem In- und Ausland. Sie sollen eine unbekannte Stadt mit einer eigenen Identität entdecken – abseits von Schlagzeilen über rechtsextreme Umtriebe. Ein Streifzug durch eine Metropole im Aufbruch.
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Unweit des Bahnhofs, in der Chemnitzer Innenstadt, zeigt das Kaufhaus Schocken seine zwei Gesichter: Tagsüber hebt sich der Kalkstein der Fassade strahlend von den dunklen Fensterstreifen ab. Nachts kehrt sich das Zebramuster um. Die beleuchteten Fenster verwandeln sich in helle Lichtbänder, die weißen Steine liegen im Schatten. Der Rundbau aus den 1930er-Jahren symbolisiert, was Chemnitz in den kommenden Monaten zeigen möchte: Verborgenes und Unbekanntes. „C the unseen“ – so der Titel der europäischen Kulturhauptstadt 2025. Das „C“ steht für Chemnitz und für das Englische „see“ – sehen.
Mehr als tausend Veranstaltungen und 150 Projekte aus den Bereichen Malerei, Literatur, Theater, Tanz, Film und Musik sind geplant. Mit dem Programm möchte sich die drittgrößte Stadt Sachsens in ihrer Vielfalt präsentieren. Das Image von Chemnitz hat in der Vergangenheit durch internationale Schlagzeilen über rechtsextreme Aufmärsche und Hetzjagden auf Migrantinnen und Migranten stark gelitten.
Einen neuen Blick auf Stadt und Leute liefert das Innere des Kaufhauses Schocken. Hier, wo einst Kinderwagen, Waschpulver und Schränke verkauft wurden, ist das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz (SMAC) zu Hause. Auf 3.000 Quadratmetern zeigt es eine Chronik der Menschen der Region.
Streifzug durch die Kulturhauptstadt
Reichtum und Ausbeutung
Jens Beutmann ist Chefkurator des Museums. Der hochgewachsene Mann drückt im Fahrstuhl auf die Vier. Es geht hoch zur Sonderausstellung „Silberglanz und Kumpeltod“ – der Beitrag des SMAC zum Jahr der Kulturhauptstadt. Die Ausstellung gibt einen Einblick in die traditionsreiche Bergbaugeschichte im Erzgebirge, an dessen Ausläufern Chemnitz liegt. „Viele Menschen denken beim Bergbau zuerst an das Ruhrgebiet. Dabei ist auch unsere Region seit Jahrhunderten eng damit verbunden. Für die Leute hier ist das eine emotionale Geschichte“, sagt Beutmann.
In der Sonderausstellung angekommen, geht der 55-Jährige zu einer Vitrine mit einem unterarmgroßen Bergmann aus Silber – ein Geschenk des Freiberger Rates an den sächsischen Kurfürsten. Im Schaukasten daneben liegt eine Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert. „Eine absolute Seltenheit“, sagt Beutmann. Die Zeichnung zeigt, wie Bergleute mit einem Handventilator Frischluft unter Tage befördern und mit Hammer und Hacke Erz aus dem Berg schlagen.
Das ist eine emotionale Geschichte.
Jens Beutmann,
Referatsleiter Ausstellungen,
Kurator Ausstellung „Bergbau“
Harte Arbeit, mit der die Region reich geworden ist. Mythen ranken sich um einen tonnenschweren Block aus Silber, an dem Herzog Albrecht von Sachsen gespeist haben soll. Münzen aus dem Erzgebirge verbreiteten sich in Europa, während Bergleute und Glücksritter vom Reichtum versprechenden „Berggeschrey“ angelockt wurden.
Einen Raum weiter zeigt Beutmann zur Decke. Das Schwarz-Weiß-Bild eines Atompilzes hängt von dort herab. Darunter erzählen Schautafeln und ein mannsgroßer Bohrhammer die Geschichte der Wismut. Das Unternehmen mit Sitz in Chemnitz lieferte nach dem Zweiten Weltkrieg einen großen Teil des Urans für die sowjetischen Atombomben. Hunderttausende Männer und Frauen haben im Uranbergbau gearbeitet – anfangs unter schwersten körperlichen Arbeitsbedingungen. Im Bergbau der Region gingen Reichtum und Ausbeutung von Mensch und Natur stets Hand in Hand. Das prägt bis heute.

Der Schlossteich mit der Schlosskirche und der bunten Esse im Hintergrund. Der 302 Meter hohe Schornstein ist das höchste Bauwerk Sachsens.
Lebenswerte Stadt
Seit 1990 ist die Wismut für die Sicherung der Schächte und der Grubenbaue, die Demontage und den Abriss kontaminierter Anlagen und Gebäude, die Endabdeckung von Absetzanlagen sowie die Sanierung und die Renaturierung von Halden zuständig. Daneben spielt die Wasseraufbereitung eine wichtige Rolle.
Außerdem verfügt das staatseigene Unternehmen über detaillierte Bodendaten, die für die Rohstoffstrategie Sachsens wichtig sind. Der Freistaat möchte den Bergbau im Erzgebirge wieder aufleben lassen. Ob es so weit kommt, hängt stark davon ab, wie sich die Rohstoffpreise entwickeln und ob genügend Arbeitskräfte kommen. „Im Moment will niemand hierher“, sagt Katrin Altmann, Betriebsratsmitglied der Wismut GmbH und Vorsitzende des IGBCE-Bezirksfrauenausschusses. Nachvollziehen kann sie das nicht. „Chemnitz ist äußerst lebenswert und grün“, sagt Altmann.
Die Frau mit Kurzhaarschnitt wohnt seit knapp dreißig Jahren in der Stadt. Zu ihren Lieblingsorten zählt der Schlossteich mit seinem Park. „Im Sommer kann man hier herrlich gondeln – immer mit Blick auf das Schloss und unsere Esse.“ Der bunte Schornstein ist eines der Wahrzeichen von Chemnitz. In roten, grünen, gelben und blauen Farben leuchtet der „Lulatsch“ weit über die Stadt hinaus.

Katrin Altmann, Betriebsrätin bei Wismut und Vorsitzende des IGBCE-Bezirksfrauenausschusses.

Die Hartmannfabrik ist das letzte erhaltene Gebäude der Sächsischen Maschinenfabrik, Hersteller von Lokomotiven und Dampfmaschinen.
Daneben ist der „Nischel“ untrennbar mit Chemnitz verbunden: ein mehr als 13 Meter großer Karl-Marx-Kopf in der Innenstadt. Der streng dreinblickende Riese erinnert an die Zeit, als die Stadt den Namen des Philosophen trug und ein bedeutendes Industriezentrum war. Ein Gigant der deutschen Industrie, von dessen Existenz zahlreiche Fabrikanlagen aus rot schimmerndem Backstein erzählen.
Viele von ihnen stehen leer. Manche haben ein zweites Leben bekommen – wie der Wirkbau. In dem ehemals größten deutschen Werk für Textilmaschinen befinden sich eine Kaffeerösterei, ein Club, Ateliers und Start-ups. Das Industrieareal nahe der Innenstadt ist zu einem Anziehungspunkt für die kreative Szene geworden.
Auch die Hartmannfabrik ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Wo einst Bahnpionier Richard Hartmann Lokomotiven für alle Welt bauen ließ, ist jetzt das Besuchs- und Informationszentrum der Kulturhauptstadt untergebracht. Gäste gelangen über ein meterhohes Glasportal in die lichtdurchflutete Halle aus grauem Sichtbeton und rotem Backstein. An einem Tresen sitzen Mitarbeitende, geben auf Deutsch und Englisch Informationen zum Programm und verkaufen bunte T-Shirts mit dem „C the unseen“-Logo. „Das Gebäude war eine Ruine. Und jetzt? In der Stadt tut sich was“, sagt Katrin Altmann.
Das Engagement ist eine Möglichkeit, das Flair der Kulturhauptstadt mitzugestalten.
Andrea Schramm,
Ehrenamtliche im Freiwilligenprogramm
Foto: Thomas Ackermann, Wismut gmbH
Mitmachen und mitgestalten
Chemnitz, eine Stadt von Macherinnen und Machern – so sehen es auch die Organisatorinnen und Organisatoren der Kulturhauptstadt. Sie verzichten darauf, internationale Stars in die Stadt zu holen. Vielmehr setzen sie auf die Kreativität und die Schaffenskraft der Bevölkerung. So ruft das Projekt „#3000 Garagen“ die Chemnitzerinnen und Chemnitzer dazu auf, ihre Garagen zu öffnen. Die für Ostdeutschland typischen, allgegenwärtigen Betonwürfel sollen für Feste, Workshops und Kunstaktionen genutzt werden. Darüber hinaus entstehen im Rahmen des Projekts „Makers, Business & Arts“ neun offene Werkstätten. In diesen „Makerhubs“ sollen Menschen voneinander lernen und zusammen Neues erschaffen.
Eine weitere Möglichkeit zum Mitmachen bietet das Freiwilligenprogramm. IGBCE-Mitglied und Wismut-Mitarbeiterin Andrea Schramm ist Teil des rund 900-köpfigen Teams aus Bürgerinnen und Bürgern, die ehrenamtlich bei Veranstaltungen mit anpacken. Die 54-Jährige war bereits bei einem Garagenkonzert dabei, hat beim Grillen und beim Auf- und Abbau geholfen. Am 18. Januar ist sie wieder im Einsatz: an den Bühnen der Innenstadt zur großen Eröffnungsfeier der Europäischen Kulturhauptstadt. „Für mich ist das Engagement eine Möglichkeit, die Stadt zu unterstützen und das Flair der Kulturhauptstadt mitzugestalten“, sagt Schramm. „Ich bin mir sicher, dass sich Chemnitz in den kommenden Monaten mit einem komplett anderen Gesicht zeigen wird. Das wird lange nachwirken.“
Guide: Chemnitz
SMAC – Staatliches Museum
für Archäologie Chemnitz
Weitere Information unter der Karte.
Besuchs- und Informationszentrum
der Kulturhauptstadt Chemnitz
Weitere Information unter der Karte.
Schlossteich und Park
Weitere Information unter der Karte.
Industriemuseum Chemnitz
Weitere Information unter der Karte.
Hotelempfehlung
Hotel an der Oper
Straße der Nationen 56
09111 Chemnitz
DZ 110 Euro (ohne Frühstück)
www.hoteloper-chemnitz.de
Hotelempfehlung
50’s ville Motel
Zwickauer Straße 128a
09116 Chemnitz
DZ ab 99 Euro (ohne Frühstück)
www.50svillemotel.de
Gastronomie
Onkel Franz
Franz-Mehring-Straße 2
09112 Chemnitz
www.onkel-franz.com
Gastronomie
Emmas Onkel
Ulmenstraße 48
09112 Chemnitz
emmas-onkel.jimdosite.com
SMAC – Staatliches Museum
für Archäologie Chemnitz
Sonderausstellung
„Silberglanz und Kumpeltod“
Stefan-Heym-Platz 1
09111 Chemnitz
Aktuelle Öffnungszeiten und
Eintrittspreise unter:
www.smac.sachsen.de
Besuchs- und Informationszentrum
der Kulturhauptstadt Chemnitz
Fabrikstraße 11
09111 Chemnitz
chemnitz2025.de
Schlossteich und Park
Der Schlossteich zählt zu den beliebtesten Naherholungsgebieten in Chemnitz. Vor allem in den warmen Monaten lädt das Café Milchhäuschen und das Eis an der Gondelstation zum Verweilen ein.
www.chemnitz.de
Industriemuseum Chemnitz
Das Industriemuseum zeigt in den kommenden Monaten die Sonderschau „Tales of Transformation“. Sie ist Teil des Hauptprogramms der Europäischen Kulturhauptstadt und beleuchtet den Wandel europäischer Industriezentren.
www.industriemuseum-chemnitz.de
Wirkbau
Der Wirkbau war einst eine Produktionsstätte für Textilmaschinen, heute gibt es hier Galerien, ein Café sowie einen Club.
www.wirkbau.de