Vor Ort

Nordost

Retter unter Tage

Text Karin Aigner – Fotos privat

Mut, Standhaftigkeit und Ausdauer sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen Grubenwehrmann. Der 34-jährige Pirnaer Marcel Herzog spricht über seine lebenswichtige Arbeit und den Preis, den er dafür zahlt.

Schnelle Hilfe in mehr als siebzig Metern Tiefe: Marcel Herzog und seine Kollegen proben regelmäßig den Ernstfall.

Alarm bei der Wismut. Egon wird vermisst, siebzig Meter unter der Erde im Besucherbergwerk „Vereinigt Zwitterfeld zu Zinnwald“. Der Strom fiel aus, die Lampen erloschen und der 85 Kilo schwere Typ im Blaumann schaffte es nicht, aus der Dunkelheit zu fliehen. Jetzt heißt es sofort handeln: Die Grubenwehr wird alarmiert und anhand von Rissen geplant, wie der Trupp mit den orangeroten Helmen vorgehen soll. Grubenwehrchef Marcel Herzog: „Wir müssen unter extremsten Bedingungen einen kühlen Kopf bewahren. Du weißt nicht, was dich in der Grube erwartet!“

Die Grubenwehren sind die Retter in der Not im untertägigen Bergbau und auch für Besucherbergwerke unverzichtbar. Die Kameraden begeben sich selbst in Gefahr, um Menschen zu helfen. Denn die Geschichte des Bergbaus ist auch eine Geschichte der Katastrophen. Jedes Jahr sterben Menschen bei Stolleneinstürzen oder unterirdischen Gasexplosionen, die meisten in China.

Ein modernes Hilfsmittel bei der Suche nach Vermissten oder bei Bränden ist die Wärmebildkamera, die voraus gerichtet ist. Rückwärts gerichtet wird Kabel von einer dicken Trommel abgespult. Klar, denn Funk funktioniert unter Tage nicht, die Verständigung erfolgt via Draht.

So wird auch nach Egon gesucht, bis der erlösende Satz kommt: „Sicht gut, Wetter gut!“ Heißt: Keine giftigen Gase vorhanden, Egon hat Chancen. Allerdings scheint er vom Besucherweg abgekommen zu sein, die Wehrleute müssen das Geländer übersteigen. Und tatsächlich: Im letzten Winkel eines Abbaus liegt Egon und bekommt ein eigenes Atemschutzgerät. Der Truppführer meldet: „Die Person lebt, ist nur leicht am Bein verletzt und etwas verwirrt!“

Im Bergbau sind wir füreinander da.

Marcel Herzog,
Grubenwehrchef

Egon kann sich trotzdem nicht bedanken. Er ist ein Dummy. Die Grubenwehr muss für solche Fälle einsatzbereit sein, deshalb ist die Ausbildung ihrer Mitglieder essenziell wichtig. Nur so ist ein funktionierendes Rettungswerk für den Ernstfall vorzuhalten. Jedes Unternehmen, das unter Tage tätig ist, muss für den Notfall vorsorgen. Das gilt nicht nur für Bergwerke und Bergsicherungsbetriebe. Auch Schauanlagen wie das Besucherbergwerk Zinnwald müssen im Unglücksfall ein Rettungswerk zur Hand haben. Deshalb ist die Grubenwehr unverzichtbar.

Die Arbeit darin ist freiwillig und ehrenamtlich. Marcel Herzog ist von Beruf Fachkraft für Arbeitssicherheit und bei der Wismut GmbH in Königstein beschäftigt: „Als Verantwortlicher Oberführer der Grubenwehr am Standort in Königstein ist meine wesentliche Aufgabe, dass die Einsatzbereitschaft gewährleistet ist. Das beinhaltet auch die Ausbildung der Wehrmitglieder. Sie ist unterteilt in zwei Fachbereiche: Atemschutzgerätetechnik sowie Seiltechnik. Darin sind je vier Übungen im Jahr von jedem Mitglied zu absolvieren.“ So werden die Spezialkräfte der Grubenwehr bei einer knallharten Ausbildung auf die riskanten Rettungseinsätze unter Tage vorbereitet.

Ausschlaggebend für die Arbeit in der Grubenwehr war für Marcel Herzog sein Opa Hellmut. Der damals 23-jährige Hauer wurde am 15. Juli 1955 in der Urangrube von Niederschlema in der Nachtschicht eingeschlossen. Der Grubenbrand forderte 33 Tote. Hellmut Herzog gehörte zu den wenigen, die nach 63 Stunden von den Grubenrettern aus 200 Metern Tiefe befreit werden konnten. Er war der einzige Überlebende, der wieder in den Berg einfuhr. Marcel Herzog: „Ganz klar, ohne Grubenwehr wäre ich gar nicht auf der Welt. Das Gefühl, etwas zurückzugeben, macht auch mich stolz und erfüllt mich. Wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen, ist es entscheidend, jederzeit bereit zu sein, schnell zu handeln. Das bedeutet, dass wir uns sowohl mental als auch physisch auf alle möglichen Notfälle vorbereiten.“

Im Büro des Grubenwehrmanns hängt ein Foto seines Sohns Hans als Neugeborener auf einer Einsatzausrüstung. Es ist Anerkennung und Ehrerbietung dafür, dass es ihn und seine Familie ohne den Einsatz von Einsatzkräften nicht geben würde.

Mit der Schleißkorbtrage wird der Verletzte abtransportiert.

Essenziell wichtig: Die Kommunikation zwischen den Grubenwehrmitgliedern.

Seilübung in technischer Anlage: Personenrettung mit Schleißkorbtrage.

Marcel Herzog am Büroarbeitsplatz. An der Wand: ein Bild von Sohn Hans.

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