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Enormer Zuspruch

Text Michaela Ludwig

Die Beschäftigten von Euroimmun und Rosen möchten fair und transparent für ihre Arbeit bezahlt werden. Für die Tarifverhandlungen brauchen sie die IGBCE. Auch deshalb steigt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder rasant.

Engagiert für die Mitbestimmung: Sascha Mende und Thomas Pfeiffer (von links).

Foto: privat

Höchste Zeit für einen Betriebsrat! Das war Ralf Andrzejewski in dem Moment klar, als er im Juni 2023 vom geplanten Verkauf seines Unternehmens aus dem Internet erfuhr. Die Beschäftigten des Lingener Familienunternehmens Rosen Technology and Research Center GmbH waren „entsetzt und enttäuscht, dass wir als letzte informiert wurden“, erzählt er. Die Sorge um den Arbeitsplatz war groß, denn die rund 1.400 Beschäftigten des Inspektionsgerätehersteller hatten zwar eine Mitarbeitervertretung, jedoch keinen Betriebsrat, der per Gesetz bei einem geplanten Verkauf durch die Geschäftsführung informiert und in die Entscheidungen eingebunden werden muss.

Über die IGBCE-Ortsgruppe wurde der Kontakt zum Gewerkschaftsteam des Bezirks Ibbenbüren hergestellt. Zum ersten Treffen in einem Café kamen zwanzig Kolleginnen und Kollegen, berichtet Ralf ­Andrzejewski. Sie organisierten mit Unterstützung des Bezirks noch im Oktober die Wahlversammlung. Der Wahlvorstand wurde gewählt – und bereits Ende Januar fand die Wahl des ersten Betriebsrats statt. Den Vorsitz übernahm Ralf ­Andrzejewski.

Gefragt ist kollektive Stärke

Nun nehmen sie das nächste Ziel in den Blick: ein transparentes und faires Entgeltsystem. „Für den Einzelnen ist es schwierig, ein gutes Gehalt auszuhandeln. Wir brauchen die kollektive Stärke, um gemeinsam bessere Leistungen und höhere Entgelte zu verhandeln“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Steffen Dohle. „Das kann der Betriebsrat nicht, einen Tarifvertrag verhandelt nur die Gewerkschaft.“

Damit die IGBCE die Verhandlungen mit der Geschäftsführung überhaupt aufnehmen kann, brauche sie ausreichend Rückhalt in der Belegschaft, bestätigt Gewerk­schafts­sekre­tär Niklas Bollmann. Regelmäßig besucht er den Betrieb und berichtet über die IGBCE und ihre Arbeit. Mit Erfolg: „Wir haben einen enormen Zuspruch durch neue Mitglieder!“

Wir haben einen enormen Zuspruch durch neue Mitglieder!

Niklas Bollmann,
Gewerk­schafts­sekre­tär

Meckern allein hilft nicht

Bei Euroimmun in Lübeck haben sie diese Hürde bereits genommen: In kurzer Zeit hat sich ein stetig wachsender Teil der 2.400 Beschäftigten in der IGBCE organisiert, darunter auch Mitarbeitende aus wichtigen Bereichen, bestätigt Sascha Mende, Mitglied des 2020 gegründeten Betriebsrats. Im Juni 2024 war die Mitgliederzahl so weit angewachsen, dass die Tarifkommission gewählt wurde. Ende August konnten endlich die ersten Verhandlungen in der Unternehmensgeschichte aufgenommen werden. Dabei gehe es um ausstehende Restzahlungen des Inflationsausgleichs, Urlaubsgeld und Arbeitszeitverkürzung, so der Vorsitzende des Vertrauensleutekörpers, Thomas Pfeiffer. „Perspektivisch möchten wir uns am Manteltarifvertrag der chemischen Industrie orientieren.“ Solche Forderungen waren noch vor wenigen Jahren in dem ehemals inhabergeführten Unternehmen, das inzwischen an einen amerikanischen Investor verkauft wurde, undenkbar.

Doch während der Labordiagnostikdienstleister in den Corona-Jahren gute Gewinne erzielte, wuchs in der Belegschaft der Frust über intransparente Entgeltstrukturen, so Sascha Mende. Der Boden für gewerkschaftliche Organisation war bereitet. „Wir haben den Kollegen und Kolleginnen gesagt, dass Meckern allein nicht hilft.“ Es brauchte wenig Überzeugungsarbeit. Viele kamen und kommen von sich aus auf die Vertrauensleute zu mit dem Wunsch, Gewerkschaftsmitglied zu werden, darunter auch außertariflich Beschäftigte (ATler). Für Eckehard Sieg, Gewerkschaftssekretär im Bezirk Schleswig-Holstein und Verhandlungsführer, sind dies „gute Voraussetzungen für ein Verhandlungsergebnis“.