Menschen & Gemeinschaft

Betriebsausflug

Jenas
gläsernes
Erbe

Text Julius Leichsenring – Fotos Moritz Küstner

Jena ist ein buntes Potpourri aus DDR-Plattenbauten, historischen Gebäuden und moderner Architektur. Nicht zu übersehen im Stadtbild: der Jentower aus den 1970er-Jahren.

Jena gilt als Wiege der optischen Industrie. Häufig wird damit die Firma Zeiss in Verbindung gebracht. Dabei hat ein weiteres Unternehmen maßgeblich zum Weltruhm der Lichtstadt beigetragen: Schott. Ein Besuch im firmeneigenen Museum des Herstellers von Spezialglas.

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Judith Hanft arbeitet seit 2006 im Unternehmensarchiv von Schott.

Judith Hanft ist Hüterin der 140-jährigen Geschichte des Schott-Konzerns: Zwei Weltkriege, eine Weltwirtschaftskrise, Verstaatlichung und Wiedervereinigung hat das in Jena gegründete Unternehmen überlebt. „Innovationen sind das Wichtigste. Wir müssen gute Ideen haben, dann meistern wir jede Krise“, sagt Hanft.

Die 53-Jährige ist bei Schott für die historische Kommunikation zuständig. „Ich wirke mehr nach innen als nach außen“, sagt sie. „Es geht um Resilienz. Wir haben alle vergangenen Krisen bewältigt. Das wird uns auch in Zukunft gelingen.“

Wobei Hanft „dit“ statt „das“ sagt. Die Urberlinerin kam vor mehr als zwanzig Jahren nach Jena. Bereut hat sie es nie. „Die Stadt ist jung, bunt und lebendig“, sagt sie. Zehntausende Studentinnen und Studenten prägen das Bild der Universitätsstadt. Sie treffen sich in Cafés und Biergärten der Wagnergasse – einer von Altbauten und Kopfsteinpflaster geprägte Kneipenmeile. Umrahmt wird sie von Parks und sozialistischen Neubauten, in der Ferne ist der Jentower zu sehen. Der verglaste Rundturm mit einer Aussichtsplattform im 28. Stock ist das wohl auffälligste Wahrzeichen von Jena.

Die Schott-Villa und das Archiv

Museum in der Schott-Villa

Auf einer Anhöhe etwas abseits des Zentrums liegt Hanfts Arbeitsplatz: die Schott-Villa. In dem Anwesen lebte der Firmengründer Otto Schott bis zu seinem Tod 1935. 66 Jahre später zog das unternehmenseigene Museum ein. Auf zwei Etagen wird heute in Filmen, mit Schautafeln und über Exponate die Firmengeschichte erzählt. Viele der knapp 2.000 Besucherinnen und Besucher im Jahr führt Hanft persönlich durch das Haus.

Die Frau mit schulterlangem Haar steht in der oberen Etage der Villa, die direkt neben dem Schott-Werk erbaut wurde. Durch die geöffnete Balkontür dringt die Sonne über Holzparkett in den Raum mit Stuck und geschwungenen Verzierungen an der Decke. Hanft schaut durch ihre kreisrunde Brille in eine Vitrine. Vor ihr liegt ein vergilbtes Buch mit Tabellen und Zahlen, daneben ein altes Mikroskop und zwei angeschliffene Glasklumpen. Sie erinnern an Eisberge. „Die Vitrine zeigt, womit alles anfing“, sagt Hanft.

Die Geschichte von Schott in Jena beginnt 1884: Ernst Abbe, Carl Zeiss, dessen Sohn Roderich und der Glas-Chemiker Otto Schott gründen die „Glastechnische Versuchsanstalt Schott und Genossen“. Schott hatte die Eigenschaften von Glas seit Jahren in seiner Heimat Witten untersucht und minutiös in einem Schmelzbuch dokumentiert. „Eine Art Rezeptbuch für Glas“, sagt Hanft. Das Exemplar in der Vitrine ist ein Replikat. Das Original liegt im Unternehmensarchiv.

Anhand der Aufzeichnungen stellt Schott optische Gläser in gleichbleibend hoher Qualität her. Hauptabnehmer ist das nahe gelegene Zeiss-Werk. Die beiden Inhaber Abbe und Zeiss können damit Mikroskope mit bisher unerreichter Präzision fertigen. Die Geräte sind Ausgangspunkt für den Weltruhm des Dreigestirns Schott, Abbe und Zeiss.

Im Inneren der Schott-Villa geht Hanft zum nächsten Schaukasten. „Borosilikatglas, ab 1891“ steht auf dessen weißem Sockel. „Mit dieser Erfindung ging der Absatz durch die Decke“, sagt sie.

Einst Wohnhaus, nun Museum: In der Schott-Villa ist die bewegte Unternehmens­geschichte erlebbar (links). Handschriftliche Aufzeichnungen von Glas-Pionier Otto Schott (oben).

Einst Wohnhaus, nun Museum: In der Schott-Villa ist die bewegte Unternehmens­geschichte erlebbar (oben).
Handschriftliche Aufzeichnungen von Glas-Pionier Otto Schott (unten).

Rasanter Aufstieg

Borosilikatglas ist extrem hitzebeständig. Säure, Lauge und andere Substanzen können ihm nichts anhaben. Schott nutzt die Entdeckung zunächst für die Herstellung von Laborgeräten. Der Durchbruch kommt mit der Gasbeleuchtung. Straßenzüge weltweit werden mit Laternen erleuchtet. Geschützt wird das Licht spendende Feuer vielerorts durch die thermisch belastbaren Glaszylinder von Schott. Aus der kleinen Schmelzhütte am Rand von Jena wird ein ­weltberühmter ­Industriebetrieb.

In den nächsten Jahrzehnten entwickelt die Firma weitere alltagsverändernde Produkte wie das Ceran-Kochfeld und Ultradünnglas. Es ermöglicht faltbare Smartphone-Displays.

Enteignung und Wiedervereinigung

Der Gründungsstandort ist das einzige Schott-Werk auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Die Firmenzentrale wird nach dem Zweiten Weltkrieg nach Mainz verlegt, um der kompletten Enteignung durch die Sowjets zu entgehen. Während in der DDR der VEB Jenaer Glaswerk Schott & Gen. mit Demontage und Materialmangel kämpft, entwickelt sich Schott in Westdeutschland zum führenden Spezialglashersteller mit Werken in der gesamten BRD. Nach der Wende entscheidet die Firmenleitung, den Standort Jena in den Unternehmenskosmos wiederaufzunehmen. Das desolate Werk wird mit 300 Millionen D-Mark fit gemacht; 1999 schreibt es erstmals schwarze Zahlen.

Generell geht es dem Unternehmen gut: Schott hat im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz eingefahren. In Jena allerdings sinkt die Zahl der Beschäftigten. Stellen werden oft nicht nachbesetzt, bis Mai herrschte Kurzarbeit.

Der Schwerpunkt von Schott in Jena liegt auf Entwicklung, Herstellung und Verarbeitung von hochfesten, thermisch und chemisch extrem beständigen Spezialgläsern, sogenanntem gefloateten Borosilikatglas. Verwendet wird es unter anderem für Brandschutz- und Sicherheitsverglasungen, strapazierfähiges Deckglas für Displaylösungen und Fahrzeugverglasungen. Für die Herstellung wird extreme Hitze benötigt.

Nirgendwo sonst in Deutschland müssen Unternehmen im Schnitt höhere Strom- und Gaspreise bezahlen als in Thüringen.

Marco Rieck,
Betriebsratsvorsitzender bei Schott in Jena

Die gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise setzen dem Gründungsstandort entsprechend zu. „Nirgendwo sonst in Deutschland müssen Unternehmen im Schnitt höhere Strom- und Gaspreise bezahlen als in Thüringen“, sagt Marco Rieck. Der 51-Jährige ist Betriebsratsvorsitzender in Jena und Vorsteher des IGBCE-Vertrauenskörpers. Viele seiner Sätze beginnen mit „wir Schottianer“. Trotz der angespannten Lage schaut er positiv in die Zukunft: „Es sieht gut aus für den Standort. Investitionen werden getätigt, unter anderem in eine Musterfertigung für die Halbleiterindustrie.“

Ortswechsel. Über einen Parkplatz führt Hanft zum Verwaltungsgebäude von Schott: Quadratische Glasfronten und ein Betonrahmen zieren den Neubau. In der Ferne sind die bewaldeten Hänge rund um Jena zu sehen. Der Panoramaweg SaaleHorizontale führt entlang der Hügelkette. Er wurde jüngst zum schönsten Wanderweg Deutschlands gekürt.

Dreimal musste das Unternehmensarchiv umziehen. Im Keller des Schott-Bürogebäudes hat es nun einen festen Platz.

Vom Marktplatz zu sehen: die berühmte Stadtkirche St. Michael

Unternehmerischer Weitblick

Hanft betritt über einen Seiteneingang das Bürogebäude. Im Keller öffnet sie eine Feuerschutztür, dahinter liegt ihr zweiter Arbeitsplatz das Unternehmensarchiv. Meterlange, fast deckenhohe Regale mit Dokumenten, Aktenordnern und Büchern stehen in der Mitte des Raums. Auf einem Tisch hat Hanft die Juwelen ihrer Schatzkammer ausgebreitet: die erste Werkzeitung von 1920, das originale Schmelzbuch, ein Statut von Ernst Abbe.

Darin regelt der Unternehmer, dass nach seinem Tod die Firma Zeiss und seine Anteile an Schott an die Carl Zeiss Stiftung übergehen. Abbe sichert damit nicht nur sein Lebenswerk gegen fremde Zugriffe ab. Er leistet darüber hinaus einen für damalige Verhältnisse beispiellosen Beitrag für bessere Arbeitsbedingungen: Vergütung von Überstunden, Kündigungsschutz, bezahlter Urlaub, eine Arbeitervertretung, Kranken- und Pensionskasse all das regelt das Statut von 1896. „Abbe war kein Sozialdemokrat, sondern Unternehmer. Er wusste, die besten Arbeitskräfte bekommt man nur durch gute Arbeitsbedingungen“, sagt Hanft.

Otto Schott folgt dem Beispiel Abbes und überlässt nach dem Tod seine Anteile ebenfalls der Stiftung. Bis heute ist sie alleinige Eigentümerin von Zeiss und Schott. Gute Ideen überdauern eben alle Krisen.

Guide: Jena und Schott

Hotelempfehlung
Haus im Sack
Oberlauengasse 14
07743 Jena
DZ 110 Euro (ohne Frühstück)
haus-im-sack.de

Hotelempfehlung
Bachstraße 14
07743 Jena
DZ ab 90 Euro (ohne Frühstück)
hotel-vielharmonie.de

Gastronomie
Café Stilbruch
Wagnergasse 1-3
07743 Jena
stilbruch-jena.de

Gastronomie
Piada – Folding Flavour
Johannispl. 10
07743 Jena
instagram.com/piada_streetfood

Schott-Villa
Otto-Schott-Straße 5
07745 Jena
Führungen sind kostenfrei
Aktuelle Öffnungszeiten und Informationen unter: visit-jena.de

Zeiss-Planetarium
Im Zeiss-Planetarium können Gäste bereits seit 1926 unter der grünen Kuppel einen künstlichen Sternenhimmel bestaunen. Darüber hinaus bietet die selbst ernannte „Raumzeitmaschine“ Reisen zu den Anfängen des Universums und mehr.
planetarium-jena.de

Jentower
Das 159 Meter hohe Wahr­zeichen von Jena bietet auf der täglich geöffnete Aussichtsplatt­form einen Rundumblick über die Lichtstadt und ihre grüne Umgebung.
jentower.de

Botanischer Garten
Der Botanische Garten in Jena ist der zweitälteste in Deutschland. Besucherinnen und Besucher können hier mehr als 10.000 Pflanzen aus allen Teilen der Welt bestaunen darunter die berühmte Amazonas-Riesenseerose.
botanischergarten.uni-jena.de