Vor Ort

Baden-Württemberg

Schwierige Verhandlungen

Text & Fotos Axel Stefan Sonntag

In den Tarifverhandlungen für die kunststoffverarbeitende Industrie Baden-Württemberg malen die Arbeitgeber eine durchwachsene Lage schwarz und verheddern sich in langen Wirtschaftsdebatten.

Die Tarifkommission fordert einen Mitgliederbonus sowie sieben Prozent höhere Entgelte und 100 Euro mehr bei den Ausbildungsvergütungen.

Die Arbeitgeber der kunststoffverarbeitenden Industrie Baden-Württemberg bemühten bislang eine ganze Reihe an Zahlen und Statistiken, um der IGBCE-Tarifkommission darzulegen, dass es keinen Spielraum für weitere Entgelterhöhungen in der Branche geben könne. Auch die Gewerkschaft weiß um die in Teilen angespannte wirtschaftliche Situation. Sie überraschte der Widerstand der Arbeitgeberseite deshalb zunächst nicht. Aber: Die IGBCE wehrt sich dagegen, eine gesamte Branche über einen Kamm zu scheren. „Bei uns wurden und werden mehrere Maschinen erneuert und in den vergangenen Monaten allein zwanzig neue Beschäftigte eingestellt. Weitere rund zehn sollen folgen“, berichtet Hüseyin Sahin, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Mauser. Die derzeit 162 Beschäftigten im nordbadischen Bammental stellen unter anderem Kunststofffässer her, die zu Abnehmern in der Chemie- und Lebensmittelindustrie gehen. „Alle, inklusive denen aus der Leiharbeit, arbeiten an Wochenenden und Feiertagen durch. Es läuft“, stellt Sahin fest. Sein Unternehmen hat sogar drei neue Auszubildende eingestellt, auch aus dem Ausland.

Die erste den Arbeitgebern präsentierte Forderung, mit tariflichen Regelungen die IGBCE-Mitglieder wertzuschätzen und besserzustellen, begrüßt er ausdrücklich: „Ich habe sicher schon fünfzig Mitglieder geworben. Wir sind ein sehr gut organisierter Betrieb und bekennen uns zur Sozialpartnerschaft.“

Die Tarifkommissionsmitglieder machten der Arbeitgeberseite klar, dass sie den bereits oft geforderten Mitgliederbonus jetzt endlich erwarten. Dieser war Punkt eins der Forderung.

Den Fachkräftemangel und insbesondere die fehlenden Nachwuchskräfte treiben auch Klaus Kreidler, Betriebsratsvorsitzender beim Medizintechnikhersteller Röchling Medical, um. Seit November hängen Banner mit der Aufschrift „Ohne Ausbildung keine Zukunft“ am Werkszaun. „Das ist aber ebenso einem Fensterbauer aus dem Nachbarort bewusst, der mit riesigen Transparenten für Ausbildungsvergütungen von 1.000, 1.100 und 1.200 Euro wirbt. Wir als Industrie sind nicht mehr der Platzhirsch. Wir konkurrieren inzwischen sogar mit dem Handwerk“, stellt er fest. Und nicht nur das: „Wir haben keinen Fachkräftemangel, wir haben einen Arbeitskräftemangel.“ Nun müsse es darum gehen, die Arbeitsplätze in der Kunststoffindustrie endlich attraktiver zu machen – und dazu gehöre nun einmal auch mehr Geld. „Die Inflation belastet weiterhin die Privathaushalte und führt zu einer schwachen Inlandsnachfrage. Die hemmt die kunststoffverarbeitende Industrie. Hinzu kommt der Arbeits- und Fachkräftemangel, der konkurrenzfähige Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen erfordert. Diesen Entwicklungen können wir nur mit einer ordentlichen Tariferhöhung begegnen“, sagt Verhandlungsführer Kai Königshausen.

Verhandlungsführer Kai Königshausen (rechts) kennt die Zahlen und weiß, dass die Branche selbst laut eigener Umfrage 2024 mit besseren Umsatzerwartungen rechnet als 2023.

Rita Weber, Industriegruppensekretärin aus der Hauptverwaltung, analysierte die Branchenzahlen für Deutschland und Baden-Württemberg. Sie sieht eine Aufwärtsbewegung nach einer durch Pandemie und Ukrainekrieg entstandenen Delle. Demnach erwirtschaftete die Branche im „Ländle2023 ihren zweithöchsten Umsatz. Im ersten Halbjahr 2024 lagen die Zahlen um 5,0 Prozent über denen des zweiten Halbjahres 2023.

Trotzdem: Einen Abschluss gab es nach den beiden ersten Verhandlungsrunden (zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe) noch immer nicht. „Immerhin kamen wir mündlich überein, gemeinsam dafür Sorge zu tragen, die Branche mit ihren Ausbildungsberufen attraktiver zu machen“, berichtet Königshausen. Ein Anfang. Das allein reicht der Tarifkommission aber bei Weitem noch nicht.