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Arbeitgebercheck

Foto: picture alliance/dpa | Philipp Schulze

Zentrum der
Zeitenwende

Text Lars Ruzic

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Der Rüstungskonzern Rheinmetall spielt eine entscheidende Rolle bei der Modernisierung der deutschen Streitkräfte und als Lieferant für die Ukraine. Die Aufträge stapeln sich, und auf einmal hat der Konzern massiven Personalbedarf. Doch lohnt es sich, dort anzuheuern?

Rheinmetall

Kein Konzern ist derart eng mit der „Zeitenwende“ in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik verbunden wie Rheinmetall. Das Traditionsunternehmen spielt eine entscheidende Rolle bei Aufrüstung und Modernisierung der deutschen Streitkräfte und ist gleichzeitig ein zentraler Lieferant der Ukraine. Der russische Angriffskrieg gegen das Nachbarland hat auch für Rheinmetall alles verändert. Der Konzern sammelt aktuell Milliardenaufträge ein wie andere Briefmarken: Artillerie, Panzer, Militärtransporter. Aus einem mittelgroßen Zulieferer ist ein Dax-Champion entstanden, dessen Vorstandschef damit liebäugelt, mittelfristig zu den großen US-Rüstungsriesen aufzuschließen. Derzeit erweitert Rheinmetall an vielen seiner mehr als vierzig deutschen Standorten die Kapazitäten besonders stark jedoch an seinem wichtigsten Produktionsbetrieb im niedersächsischen Unterlüß. In der Lüneburger Heide werden auf einem 1899 erworbenen, mehr als 5.000 Hektar großen Gelände Waffen, Munition und Panzer hergestellt und direkt auch im realen Einsatz getestet. Waren in Unterlüß vor dem Angriff auf die Ukraine noch gut 2.000 Menschen beschäftigt, dürften es in naher Zukunft 3.000 sein.

Gründung 1889 durch den Hoerder Bergwerks- und Hüttenverein

Rechtsform AG, mitbestimmt

Börsengang 1889, im Dax seit 2023

Börsenwert 22 Milliarden Euro (Anfang September 2024)

Umsatz 2023 7,2 Milliarden Euro

Operat. Gewinn 2023 918 Millionen Euro

Auftragsbestand 48,6 Milliarden Euro

Beschäftigte 28.000 (davon 13.500 im Inland)

Arbeitsumgebung

Unterlüß in der Südheide als wichtigster und größter Konzernstandort ist als Industriebetrieb ein Unikum. Er verfügt nicht nur selbst über ein gewaltiges Testgelände, er ist auch umgeben von militärischen Sperrgebieten oder Fliegerhorsten. Zentral geht also anders. Immerhin gibt es einen Bahnhof.
Gleichzeitig sucht der Konzern in immer größerem Umkreis nach Personal. Hunderte Stellen in zig Berufszweigen sind derzeit allein in Unterlüß ausgeschrieben. Und die Zeit drängt. 300 Millionen Euro investiert Rheinmetall in eine neue Artilleriefabrik am Standort. Im Februar war erster Spatenstich inklusive Kanzlerbesuch bereits ein Jahr später soll die Produktion anlaufen.
Gearbeitet wird sowohl im Bereich Waffe und Munition als auch bei den Landsystemen im Schichtbetrieb. Den Samstag hat man als Produktionstag hinzugenommen. Der Bedarf ist gewaltig: So hat die Bundesregierung gerade den Rahmenvertrag für Artilleriemunition von 1,3 auf 8,5 Milliarden Euro hochgeschraubt.
Während an einer Stelle neue Anlagen entstehen, gibt es in anderen Bereichen Nachholbedarf. Über viele Jahre ist dort, bedingt durch die geringe Nachfrage, zu wenig in die Modernisierung investiert worden. Dies gilt etwa für die Lüftungsanlage in den Produktionshallen oder für die Parkplätze, was nun aber sukzessiv nachgeholt wird.

Betriebsklima

Die „Zeitenwende“ ist auch eine für die Rheinmetall-Beschäftigten. Dass sich das Verhältnis der Öffentlichkeit zur Verteidigungspolitik geändert hat, spüren sie im positiven Sinne. Ihre Arbeit wird stärker akzeptiert. Inzwischen interessierten sich die Menschen sogar für das, was man konkret tue, heißt es aus der Belegschaft.
Noch vor wenigen Jahren gab es Fälle, in denen Beschäftigte als „Mörder“ verunglimpft oder Fahrzeuge mit Rheinmetall-Parkplakette zerkratzt wurden. Der Wandel im Denken der Bevölkerung steigert das Selbstbewusstsein und die Motivation der Beschäftigten. Das wirkt sich auch positiv auf das Betriebsklima aus.
Gleichzeitig zeigen sich erste Auswirkungen des schnellen Wachstums. Hunderte neue Beschäftigte sind bereits an Bord, weitere werden folgen. Die bestehende Belegschaft ist noch stark durch die Babyboomer geprägt, für die zeitnah zusätzlich Nachrücker gefunden werden müssen.
Unterlüß erlebt eine bislang nicht gekannte Durchmischung der Teams. Die eingeschworene Belegschaft aus der Region wird ergänzt durch viele junge, neue Leute, die anders auf den Job blicken. War bisher jahrzehntelange Betriebszugehörigkeit üblich, wird der Durchschnittswert 2026 auf drei Jahre gesunken sein. Heißt auch: Die neuen Teams müssen sich erst „finden“. Eine Herausforderung, die bei Rheinmetall besonders groß wird.

Mitbestimmung

Die innerbetriebliche Demokratie bei Rheinmetall ist intakt. Es gibt einen starken Betriebsrat, der dort Lösungen erarbeitet, wo der Schuh drückt. Das gilt auch für Unterlüß, wo die beiden wichtigsten Sparten des Konzerns ihren Sitz haben. Die Beschäftigten im Bereich Waffe und Munition sowie Landsysteme werden jeweils von 15 Betriebsrätinnen und Betriebsräten vertreten. Deren Zahl dürfte bald ebenfalls zulegen. Der Kontakt zum Management findet auf Augenhöhe statt, Vorschlägen aus der Belegschaft gegenüber zeigen sich die Chefinnen und Chefs in der Regel offen.
So ist es dem Betriebsrat gelungen, einige Vorteile für die Beschäftigten auszuhandeln, etwa wenn es um eine arbeitnehmerfreundliche Gestaltung der Schichtarbeit, Fahrradleasing oder Zuschüsse zu Sportkursen geht. Beim Homeoffice hat man eine sehr liberale Gesamtbetriebsvereinbarung abgeschlossen, die es am Ende Abteilungsleitung und beschäftigter Person überlässt, die für sie individuell passende Regelung zu finden. Einmal im Jahr verhandeln Management und Konzernbetriebsrat zudem über eine Erfolgsbeteiligung der Beschäftigten. Sie wird pro Kopf ausgezahlt und ist für alle gleich. Für das letzte Jahr lag der Wert bei 1.000 Euro pro Kopf, Auszubildende bekamen die Hälfte. Da der Gewinn 2024 deutlich steigen wird, dürfte auch für die Beschäftigten mehr drin sein.

Tarifbindung

Bei Rheinmetall als Mischkonzern gelten je nach Standort unterschiedliche Tarifverträge abhängig von Schwerpunkt und Wurzeln des Betriebs. Maßgeblich sind in der Regel entweder der Tarifvertrag der Metall- oder der Chemie-Industrie.
Letzterer gilt auch für alle Beschäftigten in Unterlüß. Grund ist die Tatsache, dass Munitionsherstellung im engeren Sinne ein chemischer Vorgang ist. In den unteren Entgeltgruppen finden sich so gut wie keine Beschäftigten mehr, und auch sonst werden die Mitarbeitenden nicht selten höher eingruppiert, als es ihre Funktionsbeschreibung erwarten lassen würde. Für in Schicht Beschäftigte hat der Betriebsrat die Wochenarbeitszeit um eine auf 36,5 Stunden reduzieren und dies durch mehr Personal ausgleichen können.
Über ihr von der IGBCE einst ausgehandeltes Zukunftskonto können die Beschäftigten sehr frei verfügen – es sich beispielsweise auszahlen lassen, den Betrag fürs Fahrradleasing oder für die Altersvorsorge nutzen oder ihn ins Langzeitkonto einfließen lassen. Wer keinen Wunsch angibt, erhält automatisch die fünf zusätzlichen freien Tage im Jahr, die das Konto als Option ebenfalls vorsieht. Sie werden auf Brückentage gelegt. Für diejenigen, die IGBCE-Mitglied sind, gibt es seit dem Tarifabschluss vom Sommer einen weiteren freien Tag ab 2025, sodass man insgesamt 36 freie Tage im Jahr verplanen kann.

Zukunftsfähigkeit

Nicht nur Deutschland, auch andere EU-Staaten haben nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine massiven Nachholbedarf bei militärischer Ausstattung. Lange ist bei den Armeen gespart worden, nun sollen sie schnellstmöglich wieder verteidigungsfähig gemacht werden. Das ist der Grund für die Auftragsflut, mit deren Abarbeitung Rheinmetall in den kommenden Jahren voll ausgelastet sein wird. Allein für Unterlüß steht dies bereits bis 2027 fest. Insofern müssen sich Beschäftigte und Jobinteressenten um ihre nahe Zukunft keine Sorgen machen.
Rheinmetall
zählt zu den wichtigsten Lieferanten von Artilleriemunition in der Ukraine, zwei Werke vor Ort sind im Entstehen. Die Kehrseite: Russland soll bereits Anschläge auf Rheinmetall-Chef Armin Papperger geplant haben. Auf den gebürtigen Bayern läuft im Konzern alles zu. Er hat noch große Pläne mit Rheinmetall, peilt mittelfristig vierzig Milliarden Euro Jahresumsatz, weitere Werke und Firmenzukäufe und den Aufstieg in die Weltliga der Rüstungskonzerne an. Dass Wohl und Wehe des Traditionshauses derzeit an einer Person zu hängen scheinen, ist allerdings auch ein Risiko mit Blick auf seine Zukunftsfähigkeit. Zudem drohen langfristig die üblichen Zyklen in der Politik zu greifen: dass nach der Auftragswelle für die kommenden Jahre auch wieder eine Flaute folgt.

Das sagt Rheinmetall

Man sieht sich als Arbeitgeber „zunehmend geschätzt und gefragt“. 100.000 Menschen hätten sich 2023 allein in Deutschland bei Rheinmetall beworben. Allerdings sei der Personal-bedarf auch enorm. Man wirbt mit Zusatzleistungen wie Mitarbeiter-Aktienkaufprogramm oder betrieblicher Altersvorsorge sowie mit diversen Entwicklungsprogrammen.

Unser Fazit

Viele Jahre fehlte es Rheinmetall an Anerkennung und Aufträgen. Man arbeitete verstohlen im Verborgenen und sparte, wo es ging. Von einem Tag auf den anderen hat sich beides mit dem Ukraine-Krieg geändert. Das Unternehmen erlebt seine ganz eigene „Zeitenwende“ – auch in der Personalpolitik. Man müht sich nach Kräften, attraktiv für neue Zielgruppen zu werden. Doch das verändert die Unternehmenskultur kolossal, und erste Wachstumsschmerzen sind nicht zu übersehen. Heißt aber auch: Wer jetzt bei Rheinmetall arbeitet oder neu anheuert, muss sich um die wirtschaftliche Stabilität seines Arbeitgebers erst mal keine Sorgen machen.

Quellenhinweis: Dieser Arbeitgebercheck basiert auf Recherchen bei Beschäftigten, Betriebsräten, Vertrauensleuten sowie Betriebsbetreuerinnen und -betreuern der IGBCE. Die zusammen­getragenen Informationen sind aus Gründen des Quellenschutzes bewusst anonymisiert. Jede Angabe kann jedoch konkret bestimmten Quellen zugeordnet werden. Zudem wurden öffentlich zugängliche Quellen einschließlich der Angaben des Unternehmens selbst genutzt.