Vor Ort

Nordost

Göran Gust mit Sohn Richard vor der Skyline der Wacker Chemie in Nünchritz.

Foto: privat

Gelebte Tradition

Text Karin Aigner

In der Familie Gust gibt es zwei Konstanten: die Verbundenheit untereinander und mit der Wacker Chemie AG seit nunmehr fast 80 Jahren.

Ein Unternehmen kann man vererben. Aber auch die Freude an einem guten Arbeitsplatz an ein und demselben Standort? Göran Gust lächelt verschmitzt und meint: „Ja, wahrscheinlich. Wenn zu Hause eine gute Kommunikation über die eigene Arbeit und die Firma geführt wird!“ Die gibt es in der Familie Gust zweifellos seit nunmehr fast 80 Jahren. Denn alle Nachkommen haben das Erbe der Väter angetreten: ­Göran Gust, Betriebsratsvorsitzender der Wacker Chemie AG Nünchritz (Sachsen), ist Wacker-­Beschäftigter in der dritten Generation nach Großvater Richard. Nach ihm ist Göran Gusts jüngster Sohn benannt, der wiederum im Herbst seine Ausbildung bei Wacker beginnt. Und auch seine Enkel stehen schon bereit, um in fünfter Generation im Chemiewerk zu arbeiten. Sie alle fühlen sich dem traditionsreichen Standort verbunden: Als Technologieführer in der chemischen Industrie beschäftigt Wacker in Nünchritz rund 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die neben 200 verschiedenen Silikonen und hochdispersen pyrogenen Kieselsäuren auch hochreines polykristallines Silizium für die Solarindustrie herstellen.

Ein Blick ins Familienalbum der Gusts ist auch ein Stück bewegte deutsche Geschichte. Großvater Richard (Jahrgang 1898) hat nach dem Krieg als Transportarbeiter im Chemiewerk gearbeitet und das Birkenwäldchen mitgepflanzt, das 2009 der neuen Polysiliziumfabrik weichen musste. Göran Gust erinnert sich: „Er erzählte mir, dass er Schwefelkies von Hand aus Elbkähnen geholt hat, bevor eine Entladebahn gebaut wurde. Das hat mich als kleiner Junge sehr beeindruckt.“ Vater Helmut (Jahrgang 1942) hat Chemiefacharbeiter gelernt und im damaligen TCS-Betrieb im Chemiewerk Nünchritz gearbeitet. Im Abendstudium bildete er sich zum EDV-Fachmann weiter und baute das Rechenzentrum im Werk mit auf.

Großvater Richard senior (rechts), Göran Gust (Mitte) und Helmut Zepner, Göran Gusts zweiter Großvater (links).

Foto: privat

Göran Gust selbst (Jahrgang 1969) hat im Chemiewerk ­Nünchritz gelernt. Sein Sohn Richard (Jahrgang 2007) beginnt im Herbst eine Ausbildung zum Chemikanten. Natürlich ist er Gewerkschaftsmitglied. Denn auch die Gewerkschaft ist bei ihm zu Hause ein Thema, wenn es um Solidarität und Gerechtigkeit geht. Dafür kämpft Göran Gust seit Jahren mit viel Leidenschaft und Erfolg. Egal, ob für Tarifabschlüsse oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Auch dieses Durchsetzungsvermögen liegt in der Familie. Jedes der Kinder hat sich aus freien Stücken für den Beruf des Chemikanten entschieden wobei sicher nicht nur die guten Zukunftsaussichten eine Rolle spielten, sondern auch eine gewisse Heimatverbundenheit. Göran Gust: „Bei uns zu Hause hat sich nie die Frage gestellt, ob es sich überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen. Meine Großväter lebten immer vor, dass man stolz auf seine Arbeit sein soll.“

Natürlich wird auch über Themen wie die Generation Z oder eine gute Work-Life-Balance gesprochen. Sie werden aber nie zum Problem (gemacht). Göran Gust, der inzwischen vier Kinder zwischen 34 und 17 Jahren hat, betont: „Jede Generation hat ihre eigene Sprache und ihre eigenen Bedürfnisse. Außerdem sind gewisse Werte wichtig, an denen man sich orientieren kann, weil sie Gemeinschaft, Stabilität und Sinn schaffen. Vielleicht ist das das kleine Geheimnis unserer gelebten Familientradition.“