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Brunsbüttel/Hamburg

Industriebeschäftigte am grünen Umbau beteiligen

Für eine Transformationsstudie der Hans-Böckler-Stiftung wurden Brunsbütteler Betriebsrätinnen und Betriebsräte interviewt.

Foto: Michaela Ludwig

Es boomt am Industrie- und Hafenstandort Brunsbüttel! Mit euphorischen Worten beschrieben Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft die aktuelle Situation des Standorts beim fünften Industriepolitischen Forum in Brunsbüttel im Juni. Der Standort entwickele sich zu einem bedeutenden Energie-Hub und übernehme eine wichtige Schlüsselrolle für die Versorgungssicherheit Deutschlands. Hier werde gezeigt, „wie sich ein konventionelles Industriegebiet zu einem CO₂-freien Vorzeige-Industriegebiet entwickeln kann“, lobte der Ministerpräsident.

Ankündigungen wie diese sehen viele Betriebsrätinnen und Betriebsräte sowie Beschäftigte mittlerweile mit einer gewissen Skepsis. Angesichts der aktuellen Herausforderungen wie hohen Energiepreisen, fehlenden Absatzmärkten und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit ist die „grüne Transformation“ vielerorts ins Stocken geraten: Große Wasserstoffprojekte wurden gestoppt und Investitionen zur Vermeidung von CO₂ auf Eis gelegt. „Für viele steht die Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze im Vordergrund“, heißt es in einer Transformationsstudie, für die zwei Wissenschaftlerinnen im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung die Sichtweise der Beschäftigten auf die aktuellen Prozesse analysiert haben. „Der Standort hat durch seine Küstenlage und die Verfügbarkeit von grünem Strom enorme Chancen“, sagte Bezirksleiterin Henrike Rauber und appellierte an die Akteurinnen und Akteure aus Wirtschaft und Politik, die Herausforderungen „tatkräftig und zügig anzugehen“ und „die Chancen jetzt zu nutzen“. Laut Hans-Böckler-Studie sähen auch die Beschäftigten trotz aller Unsicherheiten die Möglichkeit, dass sie grundsätzlich von einer „grünen Transformation“profitieren könnten. Hier zeige sich eine wichtige Aufgabe für die Mitbestimmung: Betriebsräte sollten sich aktiv an den Transformationsprozessen beteiligen und eigene Impulse setzen.

Industriepolitisches Forum: Bezirksleiterin Henrike Rauber und Sasol-Betriebsratsvorsitzender Ralf Bolte (2. und 3. v. li.) diskutieren über grüne Transformation.

Foto: Michaela Ludwig

Die Hans-Böckler-Stiftung unterstützt über eine Förderlinie Transformation Regionen, aber auch Betriebsräte dabei, Lösungen für den hohen Veränderungsdruck in der Arbeitswelt zu finden. Ziel ist es, über die Dynamiken und ihre Anforderungen an die Mitbestimmung wissenschaftlich zu beraten und diese zu begleiten.

Für den Betriebsrat des Hamburger Kupferherstellers Aurubis haben die Wissenschaftlerinnen in einem weiteren Transformationsprojekt analysiert, wie sich die Kreislaufwirtschaft im Unternehmen auf die Mitbestimmung auswirkt. Dabei haben sie festgestellt, dass diese selbst „nur indirekt auf unserer Prioritätenliste steht, und zwar mit ihren Auswirkungen auf Qualifizierung oder Recruiting von Fachkräften“, berichtet die Aurubis-Betriebsratsvorsitzende Deniz Acar. Gelernt habe der Betriebsrat aus den Ergebnissen der Studie, dass die Beschäftigten besser informiert und beteiligt werden sollten, um ihr Verständnis und die Akzeptanz des Themas Nachhaltigkeit zu erhöhen.

Außerdem sollte das Vorschlagswesen für Verbesserungen zukünftig nicht nur technische und kostenreduzierende, sondern auch nachhaltige oder auf Umweltschutz abzielende Vorschläge honorieren.

Stade

Perspektive für Trinseo-Beschäftigte

Der Kunststoffhersteller Trinseo schließt zum Jahresende seine Produktion im Industriepark Stade. Danach beginnt der 15-monatige Rückbau der Anlagen. Betriebsrat und Geschäftsführung haben sich auf einen Interessenausgleich und einen Sozialplan geeinigt. „Die Schließung war nicht zu verhindern“, bedauert der Betriebsratsvorsitzende Bernd Guse. Der vereinbarte Ausgleich sei jedoch „fair“. Guse zeigt sich optimistisch, dass ein Großteil der 90 Beschäftigten aufgrund der engen Zusammenarbeit im Betriebsrätenetzwerk eine Jobperspektive im Industriepark finden wird. „Uns wurde zugesichert, dass der Fokus bei der Besetzung von frei werdenden Stellen auf den Kolleginnen und Kollegen von Trinseo liegen wird.“

Das Netzwerk ist mit seiner Standortallianz für den Betriebs­räte­preis 2024 nominiert.

Hildesheim

Tarifbindung endet

Nach Austritt aus dem Arbeitgeberverband ist Petrofer seit dem 1. Juli 2024 nicht mehr an den Chemie-Tarifvertrag gebunden. Das Unternehmen hat schon vorher Tarifflucht begangen, indem neu eingestellten Beschäftigten über eine hausinterne Verleihfirma Löhne unterhalb der Fläche gezahlt wurden. „Diesen ehemaligen Leiharbeitnehmenden wurden ab dem 1. Juli nun Festverträge bei Petrofer angeboten, die nichts mehr mit der Fläche zu tun haben“, berichtet Jeannette Chiarlitti, Bezirksleiterin Südniedersachsen. „Gerade in einer Region, in der internationale Konzerne durch eine Flächenanbindung mit attraktiven Lohn- und Gehaltsbedingungen locken, ist ein Verhalten wie das Petrofers für eine gute Fachkräfteanbindung ein strategisch völlig falscher Schritt.“

Lüneburg

Ohne Kündigungen

Beim geplanten Stellenabbau des Automobilzulieferers Yanfeng wird es keine betriebsbedingten Kündigungen geben. 226 Beschäftigte haben bereits freiwillig das Unternehmen verlassen. „Der Personalabbau ist immens und wird eine Neustrukturierung des Betriebs mit sich bringen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Thomas Daratha. „Letztlich können wir sagen, dass es keine Kündigung gegen den Willen der Betroffenen gab – was eine sehr große Leistung war“, resümiert Gewerkschaftssekretär Kim Fleischmann. „Das Programm, mit dem wir einen Ausgleich schaffen konnten, können wir daher als Erfolg ­verbuchen.“

Ibbenbüren

Langjährige Treue

Foto: privat

Bei der Jubilarfeier der Ortsgruppe (OG) Ibbenbüren-Esch Mitte Juni wurde der 98-jährige Hermann Ahlers als ältestes und langjähriges Mitglied für 75 Jahre Gewerkschaftszugehörigkeit geehrt. Rudolf Meck, OG-Vorsitzender und selbst für 60 Jahre Mitgliedschaft geehrt, dankte ihm für seine Treue zur Gewerkschaftsbewegung. Nach Hermann Ahlers’ Worten war dies eine Selbstverständlichkeit, denn die Gewerkschaft sei immer für ihn da gewesen, wenn er sie brauchte.

Langelsheim

Investoren interessiert

Mehrere Investoren haben laut Insolvenzverwalter ihr In­te­res­se am Kauf des Pigment­herstellers Heubach bekundet. Das Unternehmen mit 270 Beschäftigten hatte Ende April überraschend Insolvenz angemeldet, das Insolvenzverfahren wurde zum 1. August eröffnet. Die zuständige Leiterin des Bezirks Südniedersachsen, Jeannette Chiarlitti, bewertet das große Investoreninteresse positiv, da nun ein geeigneter Käufer ausgewählt werden könne. Aufgabe der IGBCE sei es, den neuen Besitzer zu überzeugen, dem Arbeitgeberverband beizutreten. „Wir wollen die guten und tarifgebundenen Industriearbeitsplätze erhalten“, sagt Chiarlitti.


Foto: Kai-Uwe Knoth

3 Fragen an …

Anja Görlach

Die Betriebsratsvorsitzende bei Albemarle über die Arbeit des ehrenamtlichen IGBCE-Hauptvorstands.

Welche Aufgaben habt ihr Ehrenamtlichen im Hauptvorstand?

Wir sind 26 Ehrenamtliche und lenken die Geschicke der IGBCE gemeinsam mit den Hauptamtlichen, die jedoch mehr Verantwortung tragen. Wir bringen die Erfahrungen aus unseren jeweiligen Betrieben mit und können so neue Impulse setzen. Ich beispielsweise komme aus einem Unternehmen, das infolge des Verkaufs an einen US-amerikanischen Konzern umstrukturiert wurde. Für uns als IGBCE stellt sich in solchen Fällen die Frage, wie wir die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten können.

Wo wirst du deine Schwerpunkte setzen?

Ich kämpfe seit Jahren dafür, dass wir in der Tarifpolitik neue Wege gehen. Den Nachteilsausgleich für Mitglieder haben wir gerade erstmalig in einem Flächentarifvertrag verankert. Außerdem setze ich mich dafür ein, dass wir bei Einkommenserhöhungen für Festzahlungen und weniger für Prozente streiten. Nur darüber lassen sich die unteren Lohngruppen effektiv anheben. Unser Ziel ist, dass die Schere bei der Einkommensentwicklung nicht weiter auseinanderklafft.

Du hast erst kürzlich den Vorsitz des Albemarle-Betriebsrats übernommen und gehst nun den Schritt in den ehrenamtlichen Hauptvorstand. Was hat dich dazu motiviert?

Solange ich zurückdenken kann, habe ich mich für andere eingesetzt. Erst als Klassensprecherin, während der Ausbildung als Jugendvertretung und später im Betriebsrat und vielen weiteren gewerkschaftlichen Ehrenämtern. Ich wollte immer gestalten und mitentscheiden. Wer mich kennt, weiß, dass ich kein Blatt vor den Mund nehme. Das wird sich auch bei meiner Arbeit im ehrenamtlichen Hauptvorstand nicht ändern.