Jung, engagiert, antirassistisch
Mit Aktionen gegen rechts setzt sich der Bezirksjugendausschuss München der IGBCE immer wieder für Vielfalt und Toleranz ein. Eine Geschichte über grenzwertige Stammtischparolen, eine preisgekrönte Instagram-Story und junge Gewerkschaftsmitglieder, die ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.
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Dicke Luft in den Büroräumen der IGBCE München. Zwei Mitglieder des Münchener Bezirksjugendausschusses, Kopf an Kopf. „Da schau her. Die AfD sieht’s richtig. Die Scheißkanaken sollen endlich abgeschoben werden. Deutsch, you understand me? Meinungsfreiheit, das hast du dir doch gar nicht verdient.“
Rassistische Beleidigungen gegen Aussehen und Herkunft fliegen durch den Raum. Und das in einer Ausschusssitzung des Bezirksjugendausschusses (BJA) München, dessen 14 Jugendvertreterinnen und Jugendvertreter in hochrangigen Chemiefirmen arbeiten?
„Gut, das reicht“, löst Nikolas Klinger die Situation auf. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Scham lachen die jungen Gewerkschaftsmitglieder auf und geben sich High Fives zur Wiedergutmachung. Das Rollenspiel ist beendet. Alles wieder gut.
Schrecksekunde überwinden
Es ist eine reguläre Sitzung des BJA, einmal monatlich trifft sich der Ausschuss, bespricht, plant, entwickelt sich und das Jugendprogramm der Münchener IGBCE weiter. An diesem Dienstagabend hat Nikolas Klinger, Jugendvertreter des Pharmaunternehmens Roche, sein Team zusammengetrommelt, um es zu wappnen – gegen Situationen wie diese, gegen rassistische, antisemitische, diffamierende Aussagen.
BJA München: Preiswürdig und kämpferisch
„Stammtischkämpfer*innen“ nennt sich die Initiative des bundesweiten Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus. In Seminaren werden Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, rechten und rassistischen Parolen wie beispielsweise denen der AfD und ihrer Anhängerinnen und Anhänger etwas entgegenzusetzen. Mehr als 1.400 Seminare hat es bereits gegeben, mehr als 20.000 Menschen haben teilgenommen. Darunter: vier Jugendliche des BJA München. Einer davon: Nikolas Klinger, der sein Wissen nun weitergibt an sein eigenes Team.
Der „Stammtisch“ – bei diesem Projekt ist damit ein negativ assoziierter Ort gemeint, an dem schnell mal rechte Parolen fliegen. Ein Ort, der nicht stationär gedacht ist, sondern sinngemäß. Überall könne er sein, erklärt Klinger seinen Gewerkschaftsfreundinnen und -freunden, die sich nun in einem Kreis versammelt haben, um über das, was passiert ist, zu reflektieren. Überall, das heißt in der Familie, im Verein, im Bus. In den sozialen Medien, auf der Arbeit. Überall.
Wozu aber das Rollenspiel? Wozu sich in diesem geschützten Rahmen gegenseitig so beleidigen? Es gehe darum, am eigenen Leib die erste „Schrecksekunde“ zu spüren, sagt Klinger. Um sich in der echten Situation davon nicht überwältigen zu lassen. Um nicht überfragt zu sein, vielleicht geschockt, ratlos, welche Reaktion darauf zu zeigen ist.
Im BJA sorgt man sich vor rechts
Nun, tolle Aktion, könnte man sagen und trotzdem die Frage in den Raum werfen: Was bitte hat denn das Thema Rassismus im Kontext einer Gewerkschaft zu suchen, in einer Institution, in der es um Lohnforderungen geht, um Arbeitsbedingungen, um Streiks?
Für Mareile Siegmund schließen sich diese Themen nicht aus, ganz im Gegenteil. Sie ist seit acht Jahren im BJA München ehrenamtlich tätig und Vorsitzende des Ausschusses. Wenn sie spricht, dann freundlich, klar und bestimmt.
Gewerkschaften, erklärt die 29-Jährige, seien zwar überparteilich, aber keineswegs unpolitisch. In der Philosophie einer Gewerkschaft sei es verankert, etwas für die Gemeinschaft zu erreichen. Menschen zu vertreten, die nicht immer für sich selbst einstehen können. „Wir haben unsere Grundsätze.“ Respekt, Solidarität, Mitbestimmung – für Siegmund alles Grundpfeiler und Essenz der IGBCE. Handelt man konsequent nach diesen Werten, so muss man sich nun mal auch um dieses Thema kümmern. Das ist nicht nur ihre Meinung, sondern Bundesbeschlusslage.
Auf Rassismus reagieren
Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten zur Reaktion auf diskriminierende Aussagen, lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Stammtischkämpfer*innen“-Seminare: diskutieren, positionieren und widersprechen. Was davon die ratsamste Reaktion ist, das hängt von vielen Faktoren ab: Wie verhält sich mein Gegenüber? Ist die Person aggressiv? Ist sie kompromissbereit? Habe ich selbst überhaupt Kenntnisse zu dem Thema, um das es geht?
Ein Beispiel: Jemand ist der Meinung, die AfD solle regieren, und tut das lautstark kund. Ich selbst bin anderer Meinung, habe aber keine großen Kenntnisse von Politik. Ich habe keine Argumente parat, die mein Gegenüber vom Gegenteil überzeugen. In dem Fall hat es wenig Sinn, in die Diskussion zu gehen. Positionieren oder widersprechen aber, das ist trotzdem ratsam. Denkbar ist eine Aussage wie: „Auch wenn ich mich nicht viel mit Politik beschäftige, stehe ich gegen die AfD.“
Es geht also nicht immer darum, das Gegenüber auf Biegen oder Brechen vom Gegenteil zu überzeugen. Sondern darum, zumindest eine Position zu beziehen.
Mehr zum Stammtischkämpfer*innen-Seminar des Vereins Aufstehen gegen Rassismus.
Auch in IGBCE-Seminaren und Workshops erfahren Demokratinnen und Demokraten von Strategien gegen Rechtspopulismus, Rassismus und Extremismus.
Hinzu kommt die Aktualität des Themas. Der Triggerpunkt für Siegmund wie für Hunderttausende Protestierende in ganz Deutschland: die Recherchen des Medienunternehmens Correctiv zu einem Treffen hochrangiger AfD-Politiker, Neonazis sowie finanzstarker Unternehmerinnen und Unternehmer in Potsdam. Ein Treffen, bei dem Begriffe wie „Remigration“ und „Bevölkerungsaustausch“ gefallen sein sollen und laut Correctiv geplant wurde, Millionen von Menschen nach rassistischen Kriterien aus dem Land zu vertreiben. „Was sich in diesem Land politisch tut und was man an der AfD leider sieht, bewegt sich in meinen Augen in die falsche Richtung“, sagt Siegmund. „Da gilt es für mich dagegenzuarbeiten.“
Dagegenarbeiten, sich engagieren, das endet für Siegmund und ihre jungen Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen nicht in Ausschusssitzungen. Als Stimme der Jugend möchte der BJA nach außen wirken. Dorthin, wo man Jugendliche erreicht.
Und das ist wo? Richtig, in den sozialen Medien. Genauer: auf dem Instagram-Account @igbcejugend_muenchen. Schon ein erster flüchtiger Blick auf die Posts verrät: Engagement in einer Gewerkschaft muss nicht bitterernst sein. Es darf Spaß machen. Bunte Wohlfühlposts füllen den Instagram-Account mit Leben. Fotos und Videos der Hüttenfahrt, gemeinsames Feiern auf dem Christopher Street Day, Pizzaessen, Krimidinner, Bowling.
Die ernsten Themen, die Infoposts, sie streuen die BJA-Jugendlichen geschickt dazwischen. Ausbildungsthemen, Arbeitsrecht, anstehende Wahlen. Was sagen die Parteien zu den wichtigsten Fragen in puncto Ausbildung? Ist Homeoffice für Auszubildende möglich? Was ist die Geschichte des 1. Mai?
Eine preisgekrönte Instagram-Story
Und ja, auch das Thema Rassismus: Für die siebenteilige Instagram-Story „‚Music supports people‘ – Musik gegen Rassismus und Vorurteile!“ gewann der BJA München den bundesweiten Wettbewerb Die Gelbe Hand. Der Verein Mach’ meinen Kumpel nicht an! – für Gleichbehandlung, gegen Rassismus e. V., der von der DGB-Jugend mitgegründet wurde, richtet ihn seit 2005 aus.
Aus den Instagram-Posts des BJA München erhebt sich kein moralischer Zeigefinger. Stattdessen gibt es Lieder verschiedenster Genres aus mehreren Jahrzehnten auf die Ohren. Alle mit einer kleinen bis herzfüllenden Portion Antirassismus.
„Black Parade“ von Beyoncé taucht da auf, ein vibrierender Trap-Beat, unterlegt mit traditionellen afrikanischen Gesängen. Einen Tap weiter provokanter Deutschrap, am Mikro: K.I.Z mit einem ihrer beliebtesten Hits – „Boom Boom Boom“ aus dem Jahr 2015. Oder die Ärzte mit „Schrei nach Liebe“, „Changes“ von Tupac, „Black or White“ von Michael Jackson, „Be Kind“ von Zak Abel, „Make Racism Wrong Again“ von Bowmen aus dem Jahr 2020.
„Es hat total Spaß gemacht“, erzählt Siegmund. Wer Lust hatte, habe sich einen Song ausgesucht und recherchiert. „Wir sind die Jugend und soziale Medien sind einfach die Plattform, auf der man junge Menschen erreicht.“
Kämpferisch in die Zukunft
Die Story entstand Ende 2022. Verständlich, dass bei den Jugendlichen des BJA München die Gedanken schon wieder bei ganz neuen Aktionen sind. In den Sitzungssaal ist mittlerweile Ruhe eingekehrt. Mit Spraydosen, bunten Eddings und Kartons unter dem Arm sind die jungen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zur Tür hinaus verschwunden. Hoch hinauf.
Was sich in diesem Land politisch tut, bewegt sich in die falsche Richtung.
Mareile Siegmund,
Vorsitzende des BJA München
Auf der Dachterrasse atmet der Abend bereits aus, der Blick ist weit, langsam weicht er den Lichtern der Nacht. Was um sie herum passiert, bekommen die Jugendlichen des BJA kaum mit, sie sind beschäftigt, in Aktion, die Kartons sind noch leer, aber sie sollen gefüllt werden mit Statements, die sitzen.
Bestimmt sind sie für den Bayerntag, den Startschuss der bayerischen IGBCE für das Jahr 2024. Mehr als 700 Delegierte werden dort sein. Und der BJA München wird ein Zeichen setzen, Antonia Hierhager wird als Vertreterin der bayerischen Jugend eine Rede halten, und hinter ihr werden sie stehen, ihre Freundinnen und Freunde vom BJA, geeint und mit ihren Statements hoch über den Köpfen.
„Remigriert euch ins Knie!“ wird dort stehen, „AFD – Auf keinen Fall, Digga“ und „Menschenrechte statt rechte Menschen“. Und in den Köpfen der Jugendlichen wird es aufgewühlt sein, kämpferisch, empört, aber auch überzeugt, bewegt und voller Hoffnung für eine Zukunft, die sie selbst in die Hand nehmen.