Europa – du
hast die Wahl
Zum zehnten Mal wird im Juni das Europäische Parlament gewählt. Es geht um viel angesichts der multiplen Krisen in der Welt: Wie stellt sich die EU künftig auf in Fragen von Transformation, Mitbestimmung, Energie? Was haben die größten im Parlament vertretenen Parteien rund um gute Industriearbeit zu bieten? Profil hat die Programme gecheckt.
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Die Zeiten sind rau. Krieg, Inflation, Transformationsdruck, Klimawandel und ein extrem aufgeheizter politischer Debattenraum, den Populist*innen mit Parolen und vermeintlich einfachen Lösungen weiter anfeuern. In diesem schwer gereizten Klima finden vom 6. bis zum 9. Juni die Europawahlen statt, in Deutschland liegt der Termin am 9. Juni. Die IGBCE positioniert sich angesichts der vielfältigen wirtschafts-, geo- und sicherheitspolitischen Krisen ganz klar: Wir brauchen ein starkes und geeintes Europa. Denn Europa ist nicht nur eine abgehobene Idee irgendwelcher Brüsseler Bürokratie.
Die EU bietet mit ihrem freien Markt ohne Zölle und Schranken einen einzigartigen Schutzraum für unsere Industrien. Nirgendwo sonst weltweit gelten in so vielen verschiedenen Ländern einheitliche Grundregeln für Mitbestimmung, Beschäftigten- und Verbraucherschutz. Außen- und sicherheitspolitisch ist der globale Einfluss der EU ebenfalls bedeutend größer als von jedem einzelnen Mitgliedsland.
Auch unsere Forderungen sind klar: Wir brauchen einen europäischen Investitionsbooster für Industrie und Transformation, einen europaweiten Transformationsfonds, mehr Schutz vor Dumping und unfairem Wettbewerb, einen fairen Strompreis für Industrie und Privathaushalte. Wir brauchen auch eine verlässliche, transparente und berechenbare Chemikalienpolitik, die die Unternehmen nicht überfordert. Eine gemeinsame Strategie für CO₂-Abscheidung, Kreislaufwirtschaft, Versorgungs- und Lieferkettensicherheit sowie einen vernetzten Energiemarkt in einer künftigen Energie-Union. Und natürlich brauchen wir eine Stärkung der Mitbestimmung, damit wir als Gewerkschaft die Interessen unserer Beschäftigten besser durchsetzen zu können. Was wir nicht brauchen: Populismus, der pragmatische und lösungsorientierte Ideen mit vermeintlich „einfachen“ Antworten torpediert und sich gegen unser freies Europa stellt.
Unsere IGBCE-Politik-Profis haben die Programme der größeren Parteien, die zur Europawahl antreten, darauf geprüft, wie sie zu unseren wichtigsten Forderungen stehen und welche Ideen sie anbieten.
Mit dem Foodtruck durch die Republik
Gute Industriepolitik muss aus Sicht der IGBCE europäisch gedacht werden: „Wir müssen Europa stärken – denn letztlich ist die Effizienz und Verantwortung, die Europa übernehmen kann und sollte, der beste Weg, wie die Transformation gestaltet werden kann“, so IGBCE-Chef Michael Vassiliadis. Die IGBCE setzt sich deswegen mit einer Kampagne für ein geeintes Europa ein, unter anderem werden Anzeigen geschaltet. Vor allem aber wird ein Foodtruck der IGBCE mehrere Wochen lang Orte in ganz Deutschland anfahren, um mit Beschäftigten zum Thema Europa ins Gespräch zu kommen. Ein Fokus ist dabei auch die klare Positionierung gegen Rechtspopulismus: Denn dessen Forderungen und Ansätze gefährden den Industriestandort Europa und gute Industriearbeitsplätze in unseren Bereichen.
Der Foodtruck der IGBCE wird ab Anfang Mai bis zum 9. Juni durchs Land rollen und vor Betrieben aus unseren Branchen Station machen. Bei Currywurst und Pommes kannst du mit Kolleginnen und Kollegen aus deinem Bezirk über Europa diskutieren, wieso es wichtig ist, sich an der EU-Wahl zu beteiligen, und warum die IGBCE mit Rechtspopulismus nichts anfangen kann. Unsere Teams an Bord freuen sich auf dich.
CDU/CSU will mehr Sicherheit für Europa
„Eine Politik, die Wirtschaft, Energie, Klima und gesellschaftlichen Zusammenhalt zusammendenkt“ – so will die Union ihr Wahlprogramm „Mit Sicherheit Europa“ verstanden wissen. Vorrangig definiert sie „Sicherheit“ dann militärisch – die EU als Sicherheits- und Verteidigungsgemeinschaft nach außen und innen. Neben der Kriminalitätsbekämpfung versteht die Union darunter maßgeblich eine „durch Humanität und Ordnung begrenzte Migration“.
Konkrete Ideen zur Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte? Fehlanzeige. Grundsätzlich will sie dem Fachkräftemangel europäisch begegnen – aber es bleibt bei bereits bekannten Rezepten: bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um besonders Frauen von Teilzeit in Vollzeit zu bewegen. Positiv: Anerkennungsverfahren und Transparenzinstrumente für berufliche Bildung sollen nach dem Willen der Union vereinfacht und so eine Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse sichergestellt werden. Aber: Vorschläge zu Weiterbildung und Qualifizierung fehlen. Die Tarifbindung will die Union erhöhen – aus IGBCE-Sicht ein Plus. Aber Vorsicht: Das Vergaberecht will sie deutlich vereinfachen, das „Wie“ bleibt offen. Angaben zu möglichen sozialen Konditionierungen wie Vergabe öffentlicher Aufträge nur an tarifgebundene Unternehmen? Nicht mit der Union. Beim Thema „Bürokratieabbau“ wird es generell kritisch: Für die Union fällt darunter unter anderem die Abschaffung des Whistleblower-Schutzes und des Verbandsklagerechts. Um den Herausforderungen von Wirtschaft, Energie und Klima zu begegnen, setzt die Union auf Technologieoffenheit und versteht darunter auch „innovative Kerntechniken“ und die Spitzentechnologie des Verbrennermotors (Abschaffung des Verbrennerverbots inklusive). Erneuerbare Energien sollen gleichwertig gefördert und Energie- und Rohstoffsicherheit durch Handelsabkommen mit zuverlässigen Partnern gewährleistet werden.
Konkrete Maßnahmen zur Unterstützung der Transformation unserer Branchen bleibt die Union schuldig. Und den Abbau von Schutzrechten lehnen wir als IGBCE ab!
Die Grünen für Klimaschutz und aktive Industriepolitik
Wohlstand durch Klimaneutralität, Gerechtigkeit, Lebensqualität und Vorsorge – das sind die Ziele der Grünen im Europawahlkampf. Klimaschutz bleibt Kernziel, verbunden mit aktiver Wirtschafts- und Industriepolitik: Bürokratieabbau, Anreiz für private Investitionen, Netzausbau, Förderung von Zukunftstechnologien – aus unserer Sicht richtig und notwendig, um global mitspielen zu können. Positiv: Die Grünen fordern dabei die Verbindung von Fördermitteln mit guter Arbeit.
Ebenfalls positiv: Für Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz von EU-Industrieproduktion stehen Forderungen nach günstigem Strom und breit aufgestellten Rohstoffquellen. Der Fokus liegt dabei auf Kreislaufwirtschaft und Verringerung fossiler Rohstoffe. Die IGBCE hält das zumindest für ambitioniert beim notwendigen massiven Rohstoffeinsatz für die Transformation ganzer Branchen. Die Grünen befürworten auch von der IGBCE geforderte Mechanismen wie Emissionshandel, den Grenzausgleichsmechanismus für CO₂ (CBAM) sowie Speicherung und Nutzung von CO₂. Spannend bleibt die Sicht auf PFAS und das grüne Verständnis nachhaltiger Chemikalien; hier hat die Partei noch keine klare Haltung zwischen den gegensätzlichen Polen Umweltschutz und Transformation gefunden.
Beim Fachkräftemangel setzen die Grünen auf Rezepte, die auch die IGBCE unterschreiben würde: Schnellerer Zugang für Geflüchtete zum Arbeitsmarkt, die Förderung von Aus- und Weiterbildung sowie Verbesserung von Ausbildungs- und Qualifikationsangeboten, aber auch die Förderung von Frauen in guter Arbeit. Bei Mitbestimmung und Tarifbindung sind die Grünen ebenfalls auf einer Linie mit der IGBCE: Die Überarbeitung der EBR-Richtlinie, konsequente Umsetzung von Aktionsplänen zur Stärkung von Tarifbindung oder die Verknüpfung von Vergabepraxis mit Tarifbindung sind im Sinne guter Arbeit in der Transformation positiv.
Die Grünen haben erkannt, dass es Industrie und gute Arbeit für Klimaneutralität braucht. Der Weg dahin ist aber streitbar – vor allem für unsere energieintensiven Industrien.
SPD will nachhaltige Industriepolitik
„Gemeinsam für ein starkes Europa“ – dieser Slogan treibt die SPD im Europawahlkampf an. Für die Beschäftigten in den IGBCE-Branchen hält das Wahlprogramm wichtige Weichenstellungen parat. Das starke Bekenntnis zum Industriestandort ist ein klares Signal für die Planungssicherheit unserer Wirtschaft. Gelingt es, wie angekündigt, die Planungs- und Genehmigungsprozesse zu beschleunigen und unnötige Bürokratie abzubauen, kann die Weiterentwicklung der europäischen Industriestrategie zu einem echten Wachstumsmotor werden.
Beim Thema Energie strebt die SPD verlässliche und bezahlbare Energiepreise für Haushalte und Betriebe an. Hierzu soll unter anderem eine Energieunion geschaffen werden. So will man Ausbauziele für die Erneuerbaren in ganz Europa erreichen und Strommarktpreise widerstandsfähiger gegen Schwankungen machen. Gefordert wird auch ein Rahmen für einen europäischen Brückenstrompreis, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Um die Klimaziele zu erreichen, setzt die SPD neben einem Transformationsfonds auf die Ausweitung des CO₂-Emissionshandels auf die Sektoren Gebäude und Verkehr. Hier drohen weitere Belastungen für Betriebe und Beschäftigte.
Sorge macht die Positionierung zur EU-Chemikalienpolitik. Die SPD fordert eine schnelle Einschränkung und generelle Verbote von potenziell schädlichen Stoffen. Dies ist klar abzulehnen und würde bei Eins-zu-eins-Umsetzung große Teile unserer Industrie in Bedrängnis bringen. Die IGBCE setzt daher weiterhin auf den bewährten risikobasierten Ansatz unter REACH.
Laut SPD soll Europa sozialer werden. Hierzu sollen die sozialen Dialoge auf EU-Ebene gestärkt und Verhandlungsergebnisse schneller in Gesetzgebung umgesetzt werden. Auch die Mitbestimmung soll gestärkt werden. Neben mehr Rechten für Europäische Betriebsräte (EBR) geht es der SPD vor allem um das europäische Gesellschaftsrecht (SE), da dieses häufig zum Umgehen von Mitbestimmung genutzt wird.
Insgesamt steckt für die Beschäftigten in den IGBCE-Branchen einiges drin im SPD-Wahlprogramm.
AfD will raus aus Europa
Gegründet als Partei, die den Euro zugunsten der D-Mark wieder abschaffen wollte, braucht man im Wahlprogramm der AfD nicht lange nach der entsprechenden Forderung zu suchen. Doch es geht der Partei um viel mehr: So wird gefordert, das EU-Parlament aufzulösen und die Integration Europas weitgehend zurückzudrehen. Aus der Staatengemeinschaft soll ein Bund europäischer Nationen werden. Auch soll es eine Volksabstimmung über Deutschlands Verbleib in der EU geben.
Die AfD fordert zudem, eines der zentralen Elemente der EU einzuschränken: die Reisefreiheit. So sollen durch eine Reform des Schengen-Abkommens Grenzkontrollen an den innereuropäischen Grenzen wieder alltäglich und damit der europäische Zusammenhalt zerstört werden. Das steht in völligem Gegensatz zu unseren IGBCE-Werten. Die AfD will außerdem durchsetzen, dass bei der Gewährung von Sozialleistungen zwischen Beschäftigten mit deutschem Pass und denen aus dem EU-Ausland unterschieden wird. Heißt: Wer als EU-Ausländer*in einen weniger gut bezahlten Job in Altenpflege oder Gastronomie annimmt und davon das Existenzminimum nicht vollständig bestreiten kann, erhält keine Grundsicherungsleistungen mehr – ein No-Go für uns.
In der Energiepolitik lehnt die AfD eine Förderung der erneuerbaren Energien ab. Stattdessen sollen alle Energieträger inklusive Kohle und Atomkraft zu wettbewerbsgleichen Bedingungen hergestellt und angeboten werden. Eine Bepreisung von CO₂ lehnt die AfD ab. Beim Erdgas soll die Gewinnung von Schiefergas (Fracking) die Versorgungslücke schließen. Der Umbau hin zu einer weitgehend klimaneutralen Produktionsweise wird abgelehnt. Eine Vollbremsung bei der Transformation und die Leugnung des Klimawandels sehen wir als Gefahr für Industrie und künftige Generationen. In der Gesundheitspolitik wird ein europaweites Verbot von Corona-Impfungen gefordert. Außerdem will die AfD das Abtreibungsrecht europaweit so einschränken, dass es faktisch abgeschafft wird.
Alles in allem ein Programm, das sich mit den Werten und politischen Forderungen der IGBCE nicht verträgt.
Linke steht zur EU
Es ist Zeit bei den Linken: Zeit für Gerechtigkeit, Zeit für Haltung, Zeit für Frieden, so der Titel des Wahlprogramms. Als reines Feindbild sieht die Partei die EU nicht: „Trotz all ihrer Unzulänglichkeiten und Fehlkonstruktionen darf es kein Zurück hinter den politischen Erfolg der europäischen Integration, kein Zurück zum Nationalstaat geben“, heißt es im Programm. Demokratischer soll die EU werden, unter anderem durch die Stärkung des EU-Parlaments. Stattdessen nimmt die Linke Unternehmen und Reiche ins Visier. An ihrer Haltung Russland gegenüber lässt die Linke keine Zweifel: Der Angriffskrieg auf die Ukraine wird auch so benannt.
Unter der Überschrift „Umverteilen für soziale Gerechtigkeit“ widmet sich die Partei den Themen Mitbestimmung und Tarifbindung sowie der Bedeutung von Gewerkschaften und guter Arbeit generell. Zwar geraten europäische und deutsche Regelungsebene mitunter durcheinander, aber die Linie ist klar: Mitbestimmung und Demokratie im Betrieb und in der Wirtschaft sollen gestärkt werden. Heikel wird es bei Klimaschutz und Energiepolitik. Die Umsetzung des Programms würde den Transformationsdruck auf die Industrie deutlich erhöhen. Investitionen in fossile Energieträger lehnt man ab, ebenso die Förderung von Wasserstoff aus fossilen Quellen oder CCS-Technologie. An zentralen Stellen wird die Linke industriepolitisch pragmatisch. Einem „grünen Kapitalismus“ erteilt die Partei eine Absage, Instrumente für eine aktive EU-Industriepolitik werden aber aufgelistet. Besondere Bedeutung wird der Lockerung beziehungsweise der Reform des Wettbewerbsrechts zugemessen. Maßnahmen, bei denen öffentliche Gelder vergeben werden, sollen unter Vorbehalt wie Tarifbindung gestellt werden. Regionale Transformationsräte sollen eingeführt, der Just Transition Fund auf alle von der Transformation betroffenen Regionen ausgeweitet werden – das befürworten wir.
Zwar blitzt die von Linken erwartbare antikapitalistische Rhetorik immer wieder auf, oft sind konkrete Forderungen aber anschlussfähig an gewerkschaftliche Positionen – gerade bei den Themen Mitbestimmung und Industriepolitik.
FDP will weniger Bürokratie
Die FDP setzt im Europawahlkampf auf Bürokratieabbau. Das ist wichtig und richtig: Wir brauchen einen Förder- und Gesetzesrahmen für unsere Industrie, der gut abgestimmt ist und unnötige Berichtspflichten abbaut. Dennoch bleibt bei der FDP offen, ob es nicht dabei auch um den Abbau von Arbeits- oder Umweltstandards geht – ein No-Go für uns! Die FDP fordert zudem Bildungsfreizügigkeit. Das ist schön für Studierende, aber weder gibt es Ideen für die Ausbildung noch Vorschläge, wie man die für Beschäftigte in IGBCE-Branchen wichtige Qualifizierung voranbringen will.
Als Maßnahme gegen Fachkräftemangel setzt die FDP auf die schnellere Bearbeitung und Anerkennung von Berufsabschlüssen und eine „Blue Card“ für Nicht-Akademiker*innen – gut so. Bei der Forderung nach einer Flexibilisierung der Arbeitszeitrichtlinie wird’s dann allzu liberal, denn ein Rütteln an europäischen Mindeststandards für Arbeit wird es mit uns nicht geben. Die Liberalen bekennen sich zur sozialen Marktwirtschaft sowie zur Technologieoffenheit und kritisieren zu Recht die Kleinteiligkeit des Green Deals. Aber eine neue „Bürokratie-Reduktions-Richtlinie“ oder ein „Mittelstandskommissar“ erzeugen letztlich wieder mehr Papierkram. Für mehr Spielraum soll die Überarbeitung des Beihilferechts sorgen. Als IGBCE sehen wir da die Möglichkeit einer konkreten Unterstützung von Betrieben – allerdings ist fraglich, ob das die FDP damit bezweckt. Gut für unsere exportorientierten Branchen: Die Liberalen setzten sich für mehr Freihandelsabkommen, Energie- und Rohstoffpartnerschaften ein. Ein großes Fragezeichen bleibt, wie die Partei unsere Branchen in der Transformation unterstützen will: Sie stellt sich klar gegen weitere kreditfinanzierte Konjunkturprogramme oder die Beschaffung von eigenen EU-Einnahmen. Stattdessen wollen die Liberalen dem Hochlauf der Erneuerbaren – der richtig und wichtig ist – die finanzielle Förderung entziehen.
Aus IGBCE-Sicht braucht es aktive Industriepolitik und mehr Mitbestimmung – und nicht liberale Marktgläubigkeit wie bei der FDP.