Höheres Risiko für Frauen?
Im Notfall kann das Geschlecht einer erkrankten Person über Leben und Tod entscheiden. Profil erklärt, warum die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Medizin gravierende Folgen haben kann.
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Die häufigste Todesursache in Deutschland – sowohl bei Männern als auch bei Frauen – ist eine Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes starben allein im Jahr 2021 rund 273.800 Menschen daran. Doch bei Frauen liegt das Sterberisiko doppelt so hoch wie bei Männern, obwohl sie nur halb so häufig erkranken. Ein möglicher Grund ist der sogenannte Gender-Health-Gap – also fehlende geschlechtsspezifische medizinische Forschung, Lehre und Gesundheitsversorgung.
„Ob man eine Frau oder ein Mann ist, das spielt bei der medizinischen Versorgung leider immer noch eine große Rolle“, sagt die Gendermedizinerin Sandra Eifert, die als Oberärztin am Herzzentrum Leipzig arbeitet. Die Expertin beschäftigt sich seit Jahren mit dem biologischen und dem sozialen Geschlecht aus medizinischer Sicht.
Gene und Chromosomen
Das biologische Geschlecht umfasst die körperlichen Merkmale wie Gene und Chromosomen, Anatomie, Hormone, Immunsystem und Stoffwechsel – all das ist im Erbgut festgelegt. „Männer haben ein X- und ein Y-Chromosom. Doch das Y-Chromosom ist viel kleiner. Es enthält nur 86 Gene. Auf dem X-Chromosom dagegen liegen um die 2.000 Gene, die unter anderem für das Immunsystem und die Gehirnentwicklung zuständig sind. Und Frauen haben zwei davon“, erklärt Eifert.
Das soziale Geschlecht dagegen ergibt sich aus den gesellschaftlichen Normen, die von Rollenvorbildern und -erwartungen geprägt sind. Zum Beispiel, was typisch männlich oder weiblich in der Gesellschaft ist, aber auch Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit sowie der Zugang zum Gesundheitswesen. „Frauen gehen häufig davon aus, dass die Beschwerden von allein wieder verschwinden – sie unterschätzen oft die Symptome. Außerdem nehmen sie generell weniger Medikamente ein als Männer“, sagt Eifert.
Dass männliche Patienten immer noch die Norm darstellen, kann zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko für Frauen führen.
Jennifer Mansey,
Bundesfrauensekretärin und Leiterin der Abteilung Frauen/Diversity bei der IGBCE
Beispiel Herzinfarkt
Das Herz eines Erwachsenen pumpt täglich eine Blutmenge von vier bis sechs Litern wiederholt durch den Körper. Dafür benötigt es etwa 100.000 Schläge. Das weibliche Herz habe laut Eifert aber anatomische und physiologische Besonderheiten, die man bei den Symptomen, der Diagnostik und der Therapie beachten müsse. „Das Frauenherz ist etwas kleiner als das Männerherz und es ist nicht so kräftig. Es muss sich also mehr anstrengen.“
Zudem gebe es auch hormonell entscheidende Unterschiede, weiß die Expertin: „Das Frauenherz ist viele Jahre vor allem durch das Geschlechtshormon Östrogen vor Erkrankungen geschützt. Östrogen verhindert Ablagerungen an den Wänden der arteriellen Blutgefäße und minimiert so das Risiko von Schlaganfall sowie Herzinfarkt. Außerdem hält das Hormon die Blutgefäße elastisch und reguliert den Blutdruck. „Das ändert sich mit den Wechseljahren, wenn die Produktion von Östrogen zurückgeht“, sagt Eifert. „Die Elastizität der Gefäße nimmt ab, das gesundheitliche Risiko steigt.“
Spezifische Symptome
Auch die Symptomatik bei einem Herzinfarkt sei im Geschlechtervergleich unterschiedlich: „Männer spüren den typischen Schmerz hinter dem Brustbein, der in den linken Arm, die Schulter sowie den Unterkiefer ausstrahlen kann. Frauen dagegen leiden oft an unspezifischen Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Abgeschlagenheit oder einem ausgeprägten Schwächegefühl“, sagt Eifert.
„Deshalb ist es wichtig, dass die Medizin den Einfluss von biologischen sowie soziokulturellen Geschlechteraspekten auf Prävention, Entstehung, Diagnose, Therapie und Erforschung von Erkrankungen neu bewertet. Ziel muss sein, die Qualität der Gesundheitsversorgung für Frauen und Männer auf dasselbe Niveau zu heben“, fordert Mansey.