Der Schock
als Chance
Mit dem Embargo auf russisches Öl brachen bei PCK in Schwedt, einer der modernsten Erdölraffinerien Europas, unsichere Zeiten an. Tausende Arbeitsplätze standen auf dem Spiel. In Zusammenarbeit mit der IGBCE gelang es dem Unternehmen und der Politik, den Standort zu sichern – und auf die Zukunft auszurichten.
Artikel vorlesen lassen
Simona Schadow bremst den Wagen, öffnet die Tür, läuft über Betonplatten, steigt eine kurze Leiter hinauf, lehnt sich über den gelben Handlauf, weist nach unten auf den Boden. Dort liegt sie, eine silbern glänzende Ölpipeline. „Druschba“ steht in grünen Buchstaben darauf, „Freundschaft“. „Unsere Lebensader“, sagt Schadow.
Schadow ist Betriebsratsvorsitzende der PCK Raffinerie GmbH. Ein gigantisches Areal, größer als das Fürstentum Monaco, nördlich von Schwedt an der deutsch-polnischen Grenze gelegen. Man erkennt es schon von Weitem an den dunkelroten Schornsteinen, die in den Himmel ragen. An den silbergrauen Türmen mit ihren vielen kleinen Rohren, den sogenannten Kolonnen. An den Dampfschwaden, die über dem Areal aufsteigen.
Seit fast 60 Jahren wird bei PCK Rohöl zu Benzin, Kerosin und Heizöl verarbeitet. Die Raffinerie versorgt große Teile von Deutschlands Nordosten mit Energie. Neun von zehn Autos in Berlin und Brandenburg fahren mit Treibstoff von PCK, fast alle Flugzeuge vom Großflughafen BER starten mit Kerosin aus Schwedt. PCK ist das Herz, das die Region am Laufen hält. Und das stand kurz vor dem Infarkt.
Wie geht es der PCK-Raffinerie in Schwedt? Ein Besuch.
Katastrophe und Neubeginn
Als Antwort auf den russischen Angriffskrieg beschloss die Bundesregierung Mitte des vergangenen Jahres Maßnahmen, um Russland wirtschaftlich zu schwächen, darunter ein Ölembargo. Ab 1. Januar 2023 sollte kein russisches Öl mehr auf dem Landweg nach Deutschland gelangen. PCKs wichtigste Quelle drohte von einem Tag auf den anderen zu versiegen: Durch Druschba floss seit Jahren Öl aus den 5.300 Kilometer entfernten Feldern Westsibiriens. Die 1.200 PCK-Beschäftigten fürchteten um ihre Zukunft.
Es war dem Engagement verschiedener Personen aus dem Unternehmen, der IGBCE, der Politik und der Stadtgesellschaft zu verdanken, dass man die Katastrophe abwenden konnte. Mehr noch: Der Schock des Embargos hat dafür gesorgt, dass sich PCK nun schnelleren Schrittes auf den Weg in eine grüne Zukunft macht. Die Geschichte einer großen Herausforderung. Und eines Neubeginns.
Simona Schadow steigt zurück in den Wagen, schließt die Tür, startet den Motor. Die 62-Jährige blickt auf ein ganzes Berufsleben bei PCK zurück. 1977 fing sie hier an. Sie könne sich gut an den 24. Februar 2022, den Tag des Einmarschs der russischen Truppen, erinnern, sagt Schadow. „Plötzlich tauchten Fragen auf: Sind die Arbeitsplätze sicher? Kommt weiterhin genügend Öl an?“
Im März, sagt Schadow, fingen die Probleme dann an. Erste Unternehmen gingen auf Distanz. Mitgesellschafter der PCK ist der russische Staatskonzern Rosneft. Vielen Firmen war das zu unsicher. Finanzdienstleister, aber auch Firmen aus dem Baubereich hätten die Zusammenarbeit mit PCK aufgekündigt. Im Mai beschloss die EU dann das Embargo auf russisches Öl auf dem Seeweg. Polen und Deutschland erklärten sich bereit, ab Januar 2023 auch kein Öl mehr über die Druschba-Pipeline zu beziehen. Die Unsicherheit bei den PCK-Beschäftigten wuchs weiter an. Aber man war schwierige Zeiten gewohnt.
Die Jahre nach der Wende waren ein gravierender Einschnitt.
Simona Schadow,
PCK-Betriebsratsvorsitzende
Der erste Bruch
PCK oder Petrolchemisches Kombinat, wie das Unternehmen bis 1991 hieß, war schon zu DDR-Zeiten der wichtigste Arbeitgeber in der Region. Mehr noch: Die Ansiedlung der Raffinerie hatte Schwedt, eine vom Krieg schwer gezeichnete Garnisonsstadt, zu einem modernen Industriezentrum anwachsen lassen. All das stand nach 1989 auf dem Spiel. 8.500 Beschäftigte hatte PCK vor dem Ende der DDR. Nun wurden ganze Bereiche geschlossen, unter anderem die Forschung. Viele Beschäftigte wechselten den Arbeitgeber oder gar die Branche. Andere kamen bei den Ausgründungen der PCK unter. „Die Jahre nach der Wende waren ein gravierender Einschnitt“, sagt Schadow. „Und doch lief alles in geordneten, abgestimmten Schritten ab. Kein Vergleich zu den Ereignissen von 2022. Da stürzte alles unvermittelt auf die Beschäftigten ein.“
Daniela Knuth kann dem nur zustimmen. Sie arbeitet in der zentralen Messwarte, dem Herzstück von PCK. Auf riesigen Monitoren überwachen sie und ihre Kolleginnen und Kollegen hier Füllstände, Temperatur und Druck der Anlagen. Die 51-Jährige ist seit 1988 bei PCK.
„Die Nachricht vom Embargo hat uns schwer getroffen“, sagt Knuth. „Die Unsicherheit war bei allen Beschäftigten groß.“ Und doch gab es Unterschiede. Viele Kolleginnen und Kollegen, die wie sie die Nachwendezeit überstanden hatten, „saßen das aus“, wie Knuth es nennt. Für viele jüngere hingegen war der Druck zu groß. Sie hatten gerade eine Familie gegründet, ein Haus gebaut – und fürchteten nun um ihre Existenz. „Nicht wenige kündigten.“ Dabei stand nicht nur die Zukunft der 1.200 PCK-Beschäftigten auf dem Spiel. Auch die Beschäftigten der PCK-Ausgründungen sowie regionaler Bau-, Reinigungs- und Cateringunternehmen bangten um ihre Jobs. Etwa 2.000 weitere Arbeitsplätze waren gefährdet.
Der Arbeitgeber der Region
„PCK ist noch immer einer der wichtigsten Arbeitgeber der Region“, sagt Rolf Erler, Leiter des IGBCE-Bezirks Berlin-Mark Brandenburg. Erler ist einer der Akteure, die halfen, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. „Als klar war, dass das Embargo kommt, standen wir vor der Wahl“, erinnert er sich. „Entweder sehen wir das als Weltuntergang. Oder wir begreifen es als Chance. Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden.“
Erler wurde Mitglied der „Taskforce PCK“: In regelmäßigen Abständen kamen er, Vertreterinnen und Vertreter des PCK-Managements sowie verschiedener brandenburgischer Landesministerien und des Bundeswirtschaftsministeriums zusammen, um über eine Lösung zu beraten. „Uns war klar: Man musste über neue Versorgungswege nachdenken“, sagt Erler.
Die Druschba war zwar die Lebensader der PCK, die einzige Quelle für Öl aber war sie nicht. Über eine andere Pipeline wurde Schwedt, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß, mit Öl aus Rostock versorgt. Die Idee: Diese Menge würde man erhöhen. Zugleich wurden neue Lieferwege angedacht: Öl könnte auch aus dem Danziger Hafen nach Schwedt gebracht werden. Zudem gab es Überlegungen, Öl aus Kasachstan durch die Druschba zu transportieren. Die Bundespolitik war in dieser Zeit auch persönlich vor Ort. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kam mehrmals nach Schwedt. Bei einem seiner Besuche hielt er eine Rede auf einer Kundgebung auf dem zentralen Platz der Befreiung. Und er wurde von der Menge ausgebuht. „Auf mich wirkte der Auftritt wie eine Beruhigungsstrategie“, fasst Daniela Knuth aus der PCK-Messwarte die anfängliche Skepsis vieler Beschäftigter in Worte.
Embargo nur, wenn keine Arbeitsplätze in Gefahr sind.
Rolf Erler,
Leiter des IGBCE-Bezirks Berlin-Mark Brandenburg
Die Stimmung änderte sich am 16. September 2022, als Bundeskanzler Olaf Scholz seine Pläne für Schwedt vorstellte: Rosneft Deutschland wurde unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt. Für die PCK-Belegschaft wurde ein zweijähriger Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen vereinbart. „Das war von Anfang an unsere Position“, sagt Rolf Erler. „Wir haben gesagt: Wir tragen ein Embargo mit. Aber nur, wenn keine Arbeitsplätze in Gefahr sind.“
Grüner Wasserstoff als Chance
Inzwischen funktioniert die Versorgung mit Öl aus Rostock, Danzig und Kasachstan. Die Anlagen in Schwedt, deren Produktivität zwischenzeitlich deutlich gesunken war, erreichen heute wieder eine Auslastung von 70 bis 80 Prozent. Ein Happy End, könnte man sagen.
Und doch ist die Geschichte hier noch nicht vorbei. Das Engagement von PCK, IGBCE und Politik hat nicht nur das Schlimmste abgewendet. Es hat auch Pläne forciert, die schon länger diskutiert und nun relevanter wurden. Langfristig setzt das Unternehmen auf grünen Wasserstoff. Bis zum Jahr 2045 könnte sich PCK ganz von fossilen Brennstoffen verabschieden, heißt es aus der Geschäftsführung.
„Eine Riesenchance“, sagt der Auszubildende Benjamin Kühling, ein entschlossener, für seine 20 Jahre äußerst reifer Mann. Im grünen Schutzanzug und mit weißem Helm steuert der angehende Chemikant an diesem Tag zwischen den Rohren entlang, klettert, begleitet von einem Ausbilder, Eisenleitern hinauf, kontrolliert Temperatur und Füllstände der Anlagen.
Er habe sich für eine Ausbildung bei der PCK entschieden, weil er sich für Chemie interessiere, sagt Kühling. Aber auch, weil er den Job als zukunftssicher empfand. Die anstehende Transformation hat dem keinen Abbruch getan. Im Gegenteil. „Nehmen wir das Thema Wasserstoff“, sagt Kühling. „Der wird in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. In der Industrie, aber auch im Flugverkehr und der Schifffahrt.“ Er selbst würde gern in einer grünen Wasserstoffanlage bei PCK arbeiten, sagt er. Das Projekt befindet sich noch in der Planungsphase. Zunächst ist eine Elektrolyseanlage auf dem Areal vorgesehen, heißt es aus der PCK-Geschäftsführung. Die endgültige Entscheidung falle im nächsten Jahr. Später wäre auch die Produktion synthetischer Kraftstoffe denkbar. Die Voraussetzungen für die Transformation seien günstig: Es gebe in der Uckermark eine große Dichte erneuerbarer Energien, also an Wind- und Solarkraft. Man werde an das überregionale Wasserstoffnetz angeschlossen. Und auch das PCK-Areal, übrigens größer als die Stadt Schwedt selbst, biete genügend Platz für den Bau weiterer Anlagen.
Für Kühling sind das gute Aussichten. „Es ist toll, wenn man als junger Mensch zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen kann“, sagt er. Für die Menschen bei PCK könnte es der Beginn einer neuen Erfolgsgeschichte nach dem Happy End sein.
Schwierige Eigentümerstruktur
Shell und Rosneft Deutschland halten je 37,5 Prozent der PCK. Die restlichen 25 Prozent gehören der AET Raffineriebeteiligungs-Gesellschaft und damit der Rosneft Refining & Marketing GmbH und der Eni Deutschland GmbH. Seitdem Rosneft Deutschland unter Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt worden ist, kann das Unternehmen keine grundlegenden Entscheidungen mehr treffen. Die Treuhandschaft wird alle sechs Monate geprüft und gegebenenfalls verlängert. „Eine dauerhafte Planungsperspektive wird dadurch erschwert“, sagt IGBCE-Fachsekretär Malte Harrendorf.