Die Mühe wert
Nach jahrelangen Verhandlungen hat die IGBCE im Dresdner Werk des US‑Halbleiterherstellers GlobalFoundries Tarifverträge durchgesetzt. Gerade für die vielen Beschäftigten im Schichtbetrieb zahlt sich das aus. Der Abschluss bei Europas größtem Chipwerk wurde hart erkämpft. Wieso dauerte es so lang?
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Lautlos gleitet der Fahrstuhl in den dritten Stock. Die Türen öffnen sich. Mario Plötz, ein hochgewachsener Mann mit kurzem blondem Haar, tritt heraus, biegt nach links ab, geht durch eine Glastür, hält eine Chipkarte an ein Lesegerät, öffnet eine Schranke. Er greift ein weißes T-Shirt und eine graue Hose von einer Stange, wirft sie sich über die Schulter, verschwindet in einer Umkleide. Ein Mann auf dem Weg zur Arbeit. Die nächsten Stunden wird Plötz „die Anlagen“ überprüfen: vollautomatische Maschinen, die Mikrochips produzieren.
Er arbeitet als Wartungstechniker im Dresdner Werk von GlobalFoundries. Die Firma stellt Halbleiter für den Bereich Automotive her, auch für Smartphones, Laptops, Tablets. Der Dresdner Standort ist das größte Halbleiterwerk Europas, jeder dritte in Europa produzierte Chip kommt von dort. Das Unternehmen ist ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. 3.200 Menschen arbeiten dort, hinzu kommen drei- bis fünfmal so viele externe Arbeitskräfte deutschlandweit: Sicherheitspersonal, Cafeteriamitarbeitende, Reinigungskräfte, hoch spezialisierte Ingenieur*innen und technisches Personal. Die Firma ist das Herzstück und gilt als Lokomotive des sächsischen Mikroelektronikclusters, dem „Silicon Saxony“, das sich im Großraum Dresden gebildet hat. Eine Branche, in der die meisten Unternehmen nicht tarifgebunden sind.
Für GlobalFoundries gilt das seit April nicht mehr. Seitdem gibt es einen Haustarifvertrag und damit eine ebenso klare wie transparente Entgeltstruktur. Bereits 2022 hatten sich IGBCE und Unternehmen auf einen Manteltarif geeinigt, mit dem die Zahl der Schichten reduziert wurde, die der Urlaubstage erhöht. Ein Erfolg nach großer Anstrengung. Wie haben die Mitarbeitenden ihn erlebt? Und was denken sie über das Ergebnis?
Endlich ein Tarifvertrag: Besuch beim Chiphersteller GlobalFoundries in Dresden
Weniger Druck
Mario Plötz hat sich mittlerweile umgezogen, ein Haarnetz übergestreift, dünne Stoffhandschuhe angezogen, einen Mundschutz aufgesetzt. Jetzt steht er in einem mit Glasscheiben abgetrennten Zwischenraum. Er stülpt sich eine Haube über den Kopf, steigt in einen weißen Overall, streift sich ein zweites Paar Handschuhe über. Dann läuft er einen Gang entlang zum gelb erleuchteten Reinraum. Dessen Luft ist besonders stark gefiltert, denn Chips sind äußerst empfindlich. Das kleinste Partikel in der Luft würde ihre Struktur zerstören. Plötz verschwindet im Raum. Es ist 14 Uhr, Arbeitsbeginn. Er hat Spätschicht. Acht Stunden.
Die Anlagen laufen rund um die Uhr. Für die Mitarbeitenden im Schichtdienst bedeutet das ständig wechselnde Arbeitszeiten. Für viele eine körperliche und familiäre Belastung.
„Das neue System hat den Druck etwas reduziert“, sagt Plötz. Neun Zusatzschichten mussten er und seine Kolleg*innen früher pro Jahr übernehmen, weil die Arbeit so aufwendig ist, dass sie allein mit den regulären Schichten nicht abgedeckt werden kann. Mit dem Tarifvertrag fallen zwei Schichten pro Jahr weg. Die Zahl der Urlaubstage wurde auf 30 erhöht. „Mehr Freizeit ist viel wert“, sagt er, „vor allem für Menschen im Schichtdienst, die ihre Familien selten sehen.“
Ein gerechteres System
Die andere große Änderung ist die Entgeltstruktur. Vor dem Tarifvertrag gab es keine einheitliche Regelung. Gehaltserhöhungen lagen allein in der Hand der Chefetage. Es konnte sein, dass es zwischen Kolleg*innen mit demselben Job und derselben Erfahrung Gehaltsunterschiede von über 500 Euro gab, sagt Plötz. „Wer gut verhandeln konnte, hat in der Regel auch besser verdient“, sagt er. „Aber das machte denjenigen ja nicht per se zum besseren Arbeiter.“ Mit dem neuen System ist alles transparent geregelt mit Gehaltsstufen. „Das ist deutlich gerechter.“
An der Pforte vor dem Fahrstuhl stehen zwei Männer. Sie diskutieren den Tarifvertrag. Einer sieht ihn skeptisch. Der andere, ein sportlicher Mann in schwarzem Hemd und mit weißen Turnschuhen, geht gelassen auf dessen Argumente ein. Es ist Ralf Adam, Betriebsratsvorsitzender. Einer, der den Tarifvertrag entschieden vorangebracht hat.
Mit dem Betriebsrat ging es los
Adam ist fast ein Mann der ersten Stunde. 1997 fing er beim Vorgängerunternehmen AMD Saxony an, ein Jahr nach dessen Gründung. 2009 ging die Halbleitersparte von AMD in GlobalFoundries auf. 2011 habe es in der Belegschaft ersten Unmut gegeben, erinnert er sich. Die Beschäftigten sollten zusätzliche Schichten übernehmen, ohne dafür entlohnt zu werden. Mehrere Hundert Kolleg*innen seien daraufhin der IGBCE beigetreten. Im selben Jahr gründeten Adam und andere einen Betriebsrat, der an Bedeutung gewann. Zugleich wurde der Wunsch nach einer Tarifbindung lauter. Bei einer Mitgliederversammlung 2018 verständigte man sich über konkrete Forderungen. „Ein kritischer Moment“, sagt Adam. „Wir haben uns angesehen und uns gefragt: Trauen wir uns das wirklich zu? Es ist eine Sache, Forderungen aufzustellen. Eine andere ist es, für diese auch einzustehen.“
Man müsse über die Hälfte der Belegschaft auf seiner Seite haben, um die nächsten Schritte zu gehen, sagt Adam. Den größten Rückhalt hatte der Betriebsrat bei den Beschäftigten im Schichtdienst. Und so erteilte er der IGBCE das Mandat, den Arbeitgeber aufzufordern, Tarifverhandlungen aufzunehmen.
Hier kam Oliver Heinrich ins Spiel. Der Landesbezirksleiter Nordost der IGBCE wurde Verhandlungsführer. Ende 2018 habe er erste Gespräche zu Tarifverhandlungen mit GlobalFoundries geführt, erzählt er. Das Unternehmen sei „ziemlich auf Distanz“ gegangen. „Aus ihrer Konzernsicht haben sie keine Notwendigkeit für Tarife gesehen.“
Vier Fragen an Oliver Heinrich, IGBCE-Landesbezirksleiter Nordost, zum Tarifabschluss bei GlobalFoundries
Spring an die richtige Stelle
Zufriedenheit
Hürden
Zugeständnisse
Zukunft
Zeichen standen auf Arbeitskampf
Es musste also ein anderer Weg eingeschlagen werden. 23. August 2019, „politische Mittagspause“: Über 600 Beschäftigte kamen vor das Werkstor. In Sprechchören und auf Bannern forderten sie eine Reduzierung der Arbeitszeit und ein transparentes Entgeltsystem. Sogar Sachsens Wirtschaftsminister und Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) war gekommen. Ein medienwirksames Event. Und doch reichte es nicht. Die Zeichen standen auf Arbeitskampf.
Am 11. März 2020 legten die Beschäftigten erstmals die Arbeit nieder. Der Ausstand begann am Nachmittag, zog sich bis in den nächsten Tag. Der DGB-Bezirksvorsitzende war gekommen, ebenso Betriebsrät*innen anderer Unternehmen der Region. Der nächste Streik, am 29. Mai, war länger – 24 Stunden. Betriebsrat Adam hat die Streiks mitorganisiert. Es galt, Ängste bei den Beschäftigten abzubauen. „Nicht jede*r weiß, dass Streik ein Grundrecht ist“, sagt Adam. „Es war toll, diese Solidarität zu spüren.“
Unter den Teilnehmenden war auch Kristina Köhler, eine Mitarbeiterin aus dem Reliability Lab, dem Labor. Sie ist seit 2013 bei GlobalFoundries. Die Streiks, sagt sie, waren wichtig, um dem Arbeitgeber zu zeigen, dass man es ernst meine. Sie engagierte sich, obwohl sie nicht im Schichtdienst arbeitet. „In der Kollegenschaft herrscht jetzt eine deutlich bessere Stimmung. Davon profitieren auch wir.“
Im Januar 2021 kam es zu ersten konkreten Gesprächen und es wurde die Tarifkommission der IGBCE gebildet. Einmal im Monat kam man fortan zusammen, jeweils vier bis fünf Vertreter*innen der Arbeitgeber- und vier bis fünf Vertreter*innen der Arbeitnehmerseite. Es wurde diskutiert, wie ein Tarifvertrag aussehen kann.
„Es war ein sehr dynamischer Prozess“, so Betriebsrat Adam. Neben der Tarifkommission gab es auch die „Schattenkommission“, wie er sie nennt. In der wurden etwa die Forderungen nachjustiert. Die Vertrauensleute der IGBCE fungierten dabei als wichtiges Bindeglied zwischen Gewerkschaftsmitgliedern in der Belegschaft und dem Betriebsrat.
Der Entgelttarifvertrag war das dickere Brett.
Oliver Heinrich,
IGBCE-Landesbezirksleiter Nordost
Nach Gesprächen im Sommer 2021 folgten die offiziellen Tarifverhandlungen. Zuerst verhandelten IGBCE und Arbeitgeber den Manteltarifvertrag. Er regelt eine Reduzierung der Schichten, Zuschläge für Mehrarbeit und einen Zusatzurlaub für Beschäftigte in Schichtarbeit.
Dann ging es an den Entgelttarifvertrag. „Das dickere Brett“, wie Verhandlungsführer Heinrich sagt. „Das Unternehmen hatte bis dahin kein Entgeltsystem.“ Zunächst musste man sich über die grundlegende Struktur einig werden: Welche Qualifikation bedeutet welche Stufe? Wie wachsen die Beschäftigten in den Stufen? Dann musste man die Stufen mit Zahlen füllen: Wer verdient auf welcher Stufe wie viel? Zum Schluss galt es, die Beschäftigten in das System einzugliedern.
Ein langer, kraftraubender Prozess. Hinzu kam: In den USA, wo das Unternehmen seinen Hauptsitz hat, ist man Gewerkschaften gegenüber traditionell eher misstrauisch. Betriebsrat Adam fügt hinzu: „Das lokale Management musste alle Schritte mit dem globalen Management klären. Auch das war eine Hürde.“
Sie sehen jetzt: Je mehr mitmachen, desto mehr kann man erreichen.
Ralf Adam,
Betriebsratsvorsitzender
Ein historischer Moment
Und doch: Am 19. April wurde der Vertrag auf dem Betriebsgelände unterzeichnet. „Ein historischer Moment“, sagt Philipp Zirzow, Bezirksleiter Dresden-Chemnitz, der für die IGBCE da war. „Es ist ein bedeutender Schritt, mit GlobalFoundries eine Größe der Branche in die Tarifbindungen bekommen zu haben. Ein Schritt, der hoffentlich Sogwirkung entfaltet.“
Auch auf Unternehmensseite ist man zufrieden. „Am Ende ist uns ein Tarifvertrag gelungen, der für beide Seiten ein Erfolg ist“, sagt Jens Drews, Director Communications. Und auch Betriebsrat Adam wertet den Vertrag als Erfolg. Weil er die Einstellung vieler Kolleg*innen verändert habe. „Sie sehen jetzt: Je mehr mitmachen, desto mehr kann man erreichen.“ Die Laufzeit des Vertrags endet nächstes Jahr. Adams Blick in die Zukunft? Optimistisch. „Die Frage, ob es einen Tarifvertrag geben soll, stellt sich ja nicht mehr. Nur noch die Frage, wie er konkret aussehen soll.“