News
Vor Ort: Baden-Württemberg
Böblingen
Transformation mit Jobabbau?
Die letzte Betriebsversammlung des Spezialchemieherstellers Schill + Seilacher (S+S) passte so gar nicht in die rund 150-jährige Unternehmensgeschichte. „Lautes Pfeifkonzert, ausgerollte Transparente und sehr klare Worte“, beschreibt Bezirksleiter Andreas Klose die Stimmung. Der Grund: Ende November – pünktlich vor Weihnachten – präsentierte das Unternehmen dem Betriebsrat sein Verständnis von Transformation: Von den rund 400 Beschäftigten soll ein Viertel gehen, auch über betriebsbedingte Kündigungen. Begründung: massiv gestiegene Rohstoff- und Frachtkosten im prioritären Asiengeschäft.
„Herausforderungen, denen sich alle Betriebe stellen müssen“, kontert Klose und verweist stattdessen auf eine Reihe von Ungereimtheiten: „S+S gehört einer Schweizer Stiftung, die nicht operativ tätig sein darf. Gleichwohl liegen uns mehrere Indizien vor, dass diese über eine Managementgesellschaft in das Unternehmensgeschäft eingreift, womöglich sogar Millionenbeträge rauszieht. Wir prüfen diese Vorgänge akribisch.“ Die Vermutung von Rechtsverstößen steht im Raum. „Und bei den Spielregeln zur Mitbestimmung mussten wir erst einmal Aufklärungsarbeit leisten. Hierbei half jedoch die Geschlossenheit des Betriebsrats und der IGBCE.“
„Wir lassen uns nicht über den Tisch ziehen“, stellt Florian Böttinger, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, klar. „Wir werden mit der IGBCE eigene Ideen präsentieren und die wird das Unternehmen berücksichtigen müssen. Sonst gibt es keine gemeinsame Lösung.“ Bis heute fehle ein nachvollziehbares Konzept zur Unternehmenszukunft. Vieles basiere nur auf Annahmen.
Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder hat sich bislang verdreifacht. Betriebsrat und IGBCE stimmen in einer Klausur Mitte Mai (nach Redaktionsschluss) ihr weiteres Vorgehen ab. Die Gründung eines Konzernbetriebsrats ist erklärtes Ziel, der Schulterschluss mit den Kolleg*innen am Standort Hamburg steht. „Wie soll eine Transformation gelingen, wenn man erfahrene Fachkräfte vor die Tür setzt?“, fragt Klose. „Und das in Zeiten, in denen die Auftragsbücher voll sind.“
Berlin
Inside Bundestag
Alle diskutierten über das Bürgergeld. Johanna Bohn war dabei, als es beschlossen wurde. Die 22-jährige Chemielaborantin hatte bei der „Woche für Gewerkschaftsjunior*innen bei der SPD-Fraktion“ die Gelegenheit, einen Bundestagsabgeordneten durch die Sitzungswoche zu begleiten. „Ich habe nicht lange überlegt, ob ich mich bewerben soll“, erzählt sie. „Denn das können nicht viele von sich sagen, dass sie die Bundestags-Insides miterlebt haben.“
Kurz entschlossen und engagiert ist Johanna Bohn auch sonst. Kaum hatte sie 2018 ihre Ausbildung bei Roche Diagnostics in Mannheim begonnen, stand die Wahl zur Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) an. Johanna wurde prompt gewählt. Mittlerweile ist sie JAV-Vorsitzende und im Bezirksjugendausschuss der IGBCE aktiv. Theoretisch könnte sie vom Arbeitgeber für ihre Arbeit in der JAV freigestellt werden, praktisch ist das aber zurzeit nicht möglich. „Das ist ein ganz schöner Spagat“, sagt sie seufzend. „Zum Glück steht mein Chef voll hinter mir.“
Bei einer Veranstaltung der IGBCE für neue Azubis sprach ihr zuständiger Gewerkschaftssekretär sie auf die Einladung der SPD-Fraktion an. Die Bewerbung war unkompliziert und die Zusage schnell im Postfach. Johanna Bohn wollte gern zu einem Abgeordneten, der im Ausschuss für Arbeit und Soziales mitarbeitet, und wurde Jan Dieren zugeteilt. Sie begleitete ihn zu Terminen und Ausschusssitzungen und erhielt Einblicke in die Arbeit im Abgeordnetenbüro. Doch das Highlight der Woche war für sie, hautnah die Beratungen und schließlich die Abstimmung zum Bürgergeld mitzuerleben. Was sie am meisten überrascht hat? „Die Arbeitszeiten. Hui!“, entfährt es ihr. Die Abgeordneten sitzen schichtweise im Plenum, wenn die Debatten bis in die Nacht dauern. Jan Dieren hatte nach einem langen Tag noch die letzte Schicht von zwei bis fünf Uhr morgens.
Beeindruckt hat Johanna Bohn auch, wie viel Zeit sich die Abgeordneten nahmen, um mit den jungen Gewerkschafter*innen zu diskutieren. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz stand der 23-köpfigen Gruppe Rede und Antwort. Was von der Woche bleibt? Außer unvergesslichen Eindrücken ein dichtes Netzwerk aus Engagierten verschiedener Gewerkschaften.
Mannheim
Für Toleranz
Zu gleich zwei Aktionen luden die Jugendvertretungen von Roche und Essity im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ ein – tatkräftig unterstützt vom Bezirk Mannheim. Bei Essity (Foto oben) ging es in einem Workshop in besonderem Maße darum, auf diskriminierende Parolen gekonnt zu reagieren. „In praktischen Übungen konnten die jungen Kolleg*innen das Gelernte anwenden und sich ausprobieren“, zeigt sich Jugendvertreter Sebastian Frank zufrieden.
Bei Roche thematisierte eine Jugendversammlung den Umgang mit Rassismus im Alltag. Die Besucher*innen erhielten zudem Hintergrundwissen zur „Gelben Hand“ als Teil des gewerkschaftlichen Engagements gegen Rassismus. „Leider kommt Rassismus noch immer in unserer Gesellschaft vor. Um ein Zeichen dagegen zu setzen, wollten wir uns als Jugendvertretung und Bezirksjugend innerhalb des Betriebs positionieren“, begründet Johanna Bohn (Vorsitzende der Jugendvertretung Roche, Foto unten) das Engagement.
Ludwigsburg
Jugend vernetzt
Der Bezirk Stuttgart begrüßte seine neu gewählten Jugend- und Auszubildendenvertreter*innen (JAVis). Landesbezirksjugendsekretär Kai Königshausen und Bezirksjugendsekretär Markus Deissler luden die 19 angereisten jungen Leute (Foto) dazu ein, sich über ihre Betriebsgrenzen hinweg zu vernetzen. Zudem entwickelten die Ehrenamtlichen beim „Markt der Möglichkeiten“ Plattformen, um für die Azubis und jungen Menschen in ihren Betrieben sichtbar zu sein. „Insbesondere nach Corona wollen die JAVis für ihre jungen Kolleg*innen wieder ansprechbarer sein“, stellte Deissler fest. Der Bezirk legt Wert darauf, als überbetrieblicher Partner die JAV-Gremien zu beraten.
Weinheim
Tarifabschlüsse bei Nora und FST
Der Bezirk Mannheim setzte bei den Tarifverhandlungen bei Nora Systems und Freudenberg Sealing Technologies (FST) neue Tarifverträge durch. Neben prozentualen Entgelterhöhungen (Nora: insgesamt acht Prozent, FST: insgesamt 6,5 Prozent) gibt es jeweils Inflationsprämien von 3.000 Euro und in beiden Unternehmen vereinbarte Entlastungselemente. Details zu den Abschlüssen unter mannheim.igbce.de.