Vor Ort

Rheinland-Pfalz/Saarland

In Frankenthal diskutierten Gewerkschafter*innen, was eine moderne Tarifpolitik ausmacht.

Die Tarifpolitik der Zukunft

Text Axel Stefan Sonntag – Fotos Aman Yoseph

Der Landesbezirk lud zur tarifpolitischen Tagung – und mehr als 100 Tarifkommissionsmitglieder kamen. Ralf Sikorski, stellvertretender IGBCE‑Vorsitzender, skizzierte die Notwendigkeit, Tarifpolitik neu zu denken.

Kein Zweifel, die Zeiten sind herausfordernd – Stichworte Transformation, Inflation, Energiekrise und Fachkräftemangel. Deshalb gilt es, mit moderner Tarifarbeit ein wichtiger Garant für Stabilität in der Industrie und der Arbeitswelt zu sein. „Wir sind in der Pflicht, weiterhin für unsere Mitglieder kreativ und innovativ Antworten für die Fragen der Zukunft zu finden“, schilderte Landesbezirksleiter Roland Strasser die Aufgabe und betonte: „Das gelingt nur, wenn wir gemeinsam mit Mitgliedern, Vertrauensleuten und Tarifkommissionen neue Ideen erarbeiten und unsere Tarifarbeit weiterentwickeln.“

Wir müssen
Weichen stellen.

Ralf Sikorski,
stellvertretender IGBCE-Vorsitzender

Entsprechende Gespräche mit Podiumsdiskussion prägten die Tagung in Frankenthal. Klar ist: Die Transformation wirbelt Selbstverständlichkeiten durcheinander, stellt Standards und Arbeitsformen auf den Prüfstand. Dieser Wandel der Arbeitswelt bringt neue Arbeitsformen und Weiterbildungsbedarf mit sich. „Das bedeutet, dass wir große Veränderungsprozesse und Herausforderungen vor uns haben. Wir müssen jetzt durch unsere Arbeit im Betrieb die Weichen stellen, um diese Prozesse in unseren Branchen im Interesse der Beschäftigten zu gestalten. Vieles wird sich um die Frage der Qualifizierung und Innovation drehen. Dabei übernehmen wir mit unserem Tarifpartner Verantwortung für unsere Beschäftigten“, betont Ralf Sikorski, bisheriger Bundesverhandlungsführer Chemie und stellvertretender Vorsitzender der IGBCE.

Landesbezirksleiter Roland Strasser (Foto oben) warb bei den anwesenden Gewerkschafter*innen (Fotos rechts / mobil unten) für neue Ideen in der Tarifpolitik.

Doch die Bindung an die IGBCE zahlt sich auch im Worst Case aus. Uwe François, Betriebsratsvorsitzender bei Villeroy & Boch (V & B) Fliesen, weiß dies aus eigener Erfahrung. Das Unternehmen entschied, die Produktion im Saarland zu beenden. Von den in Spitzenzeiten mehr als 5.000 Beschäftigten verbleiben nur rund 150 in Verwaltung und Außendienst. Der ausgehandelte Sozialtarifvertrag kann sich, so schwer das Schicksal für die Betroffenen ist, aber sehen lassen. Die Transfergesellschaft übernimmt für ein Jahr 90 Prozent des letzten Nettoentgelts, inklusive Rückkehrrecht – falls es beim neuen Arbeitgeber hakt. IGBCE-Mitglieder erhalten sechs Monatsgehälter zur Abfindung „on top“.

François lobte die Kolleg*innen in der Papierindustrie, die ihr langfristiges Ziel eines Entgeltrahmentarifvertrages endlich erreichten. „Jetzt sind wir die letzte IGBCE-Branche, in der Entgeltgitter und Co. noch immer fehlen. Das passt nicht ins Jahr 2023, das muss ins Fein­keramik-­Geschichts­buch“, sieht er eine weiterhin ungelöste tarifpolitische Aufgabe.

Timo Münch, Betriebsratsmitglied bei der BASF SE, sieht die kommenden Tarifverhandlungen aller Branchen in einer „anstrengenden Gemengelage“. Hohe Inflationsraten kämen mit wirtschaftlichen Herausforderungen aufgrund gestiegener Energiepreise daher. Die klassische Denke passe da nicht mehr. „Deshalb war das Inflationsgeld eine gute, aber eben nur einmalige Lösung.“ Künftig brauche es vermehrt staatliche Unterstützung, um den Industriestandort Deutschland zu halten. Münch betont: „Das gilt es, bei einer zukunftsorientierten Tarifpolitik angemessen zu berücksichtigen.“