Vor Ort

Hessen-Thüringen

Jugend im Blick

Text und Foto Wolfgang Lenders

JAV-Konferenz des Landesbezirks in Frankfurt.

Unternehmen brauchen Fachkräfte. Doch angebotene Ausbildungsplätze bleiben oft unbesetzt. Wie lässt sich das ändern?

Als Anfang März Jürgen Funk und Dennis Priegnitz gemeinsam vor eine siebte Klasse der Justin-Wagner-Schule in Roßdorf in der Nähe von Darmstadt traten, ging es um viel: Der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands HessenChemie und der Gewerkschaftssekretär im IGBCE-Landesbezirk Hessen-Thüringen wollten Schüler*innen für eine Ausbildung in der chemischen Industrie gewinnen.

Gut ausgebildete Fachkräfte zu haben, das ist für die Unternehmen im Organisationsbereich der IGBCE überlebenswichtig. Der beste Weg, den Nachwuchs zu sichern, ist, selbst auszubilden. Doch häufig machen die Unternehmen die Erfahrung, dass sie nicht genügend passende Bewerber*innen für ihre Ausbildungsplätze finden.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Oft fehlt Jugendlichen die Vorstellung davon, dass eine Ausbildung in einem bestimmten Betrieb für sie interessant sein könnte. Und oft sind es die Rahmenbedingungen, die abschrecken, lange Anfahrtswege etwa oder hohe Mieten am Ausbildungsort oder die Situation in den Berufsschulen. All das war Thema bei der Jugend- und Auszubildendenkonferenz (JAV-Konferenz) des Landesbezirks Hessen-Thüringen vom 25. bis 27. Januar in Frankfurt.

Interessen ernst nehmen

Die IGBCE fordert von den Arbeitgebern und der Politik, dass sie diese Probleme angehen – um die Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen und so die Arbeitsplätze zu erhalten. „Gute Ausbildung sichert die Fachkräfte von morgen“, sagt Sabine Süpke, IGBCE-Landesbezirksleiterin Hessen-Thüringen. Wichtig ist ihr, dass die Auszubildenden ihr gesetzlich verankertes Recht auf Mitbestimmung auch wirksam ausüben können. „Demokratie fängt in der Ausbildung an. Und Ausbildung kann nur gut werden, wenn wir die Forderungen der Auszubildenden ernst nehmen.“

Sorgenkind Berufsschulen

Ein Thema hat das Land Hessen bereits im Blick: die Berufsschulen. Viele Azubis beschweren sich über eine mangelnde technische Ausstattung ihrer Schulen, einen schlechten Zustand der Gebäude und schlecht qualifizierte oder lustlose Lehrer*innen. Aber nicht alle Berufsschulen sind gleich, und mitunter liegen als sehr gut und sehr schlecht wahrgenommene Schulen dicht beieinander. Das Projekt „Zukunftsfähige Berufsschule“ des hessischen Kultusministeriums soll das ändern und bis Anfang 2024 ein Gesamtkonzept für das Bundesland vorlegen. Bei der JAV-Konferenz stellte Projektleiterin Kerstin Seitz die Arbeit daran vor.

Problem Erreichbarkeit

Ein wesentlicher Punkt: In einer Reihe von Berufen müssen die Azubis zu Berufsschulen fahren, die weit entfernt von ihrer Ausbildungsstätte sind. Das liegt daran, dass es in vielen Regionen zu wenig Auszubildende in einem Beruf gibt, um eine Berufsschulklasse einzurichten. „Es gibt keinen einzigen Ausbildungsberuf in Hessen, den es in jedem Schulträgerbezirk gibt“, sagt Kerstin Seitz. Um möglichst viel vor Ort unterrichten zu können, hat Hessen die Mindestgröße der Klassen heruntergesetzt. Und wer dann doch fahren muss, soll zumindest eine Unterkunft an der Berufsschule haben.

Arbeitgeber Chemieindustrie

Zurück zur Justin-Wagner-Schule: Dort stellten Dennis Priegnitz und Jürgen Funk „Elementare Vielfalt“ vor, ein Onlineangebot der chemischen Industrie für Jugendliche, über das sie unter anderem freie Ausbildungsplätze in ihrer Umgebung suchen können. „Die Schüler*innen waren überrascht, wie viele verschiedene Berufe sie in der chemischen Industrie erlernen können“, sagt Dennis Priegnitz.

Ein ganz wichtiges Anliegen der IGBCE: Die Schüler*innen sollen auch lernen, was einen guten Arbeitgeber ausmacht: Tarifvertrag, Betriebsrat und gewerkschaftliche Vertrauensleute etwa. Und sie sollen das berücksichtigen, wenn sie sich für ein Ausbildungsunternehmen entscheiden.


Foto: IGBCE

4 Fragen an …

Lara Rehermann

Als Trainee im IGBCE-Bezirk Darmstadt hat sie in Schulen erklärt, was eine Gewerkschaft ist.

Wie bist du auf die Idee ­gekommen?

Ich bin jahrelang zur Schule gegangen und habe studiert – und erst danach erfahren, wie wichtig Gewerkschaften sind. Mit 14 Jahren dürfen Schüler*innen ja Nebenjobs machen. Ich habe selbst Jobs gehabt und die waren oft ein Albtraum. Ich wünschte mir, ich hätte da meine Rechte gekannt. Damit Schüler*innen heute nicht das Gleiche passiert, hatte ich die Idee, in Schulen zu erklären, warum Gewerkschaften auch heute noch wichtig sind.

Wie haben die Lehrer*innen auf deine Anfrage reagiert?

Ich habe Anfang Januar einige Schulen im Bezirk Darmstadt angeschrieben, mich und mein Anliegen vorgestellt. Es kamen Nachfragen, was ich genau vorhabe. Nachdem ich mein Konzept erklärt hatte, haben mich zwei Schulen eingeladen, ein Gymnasium und eine Gesamtschule. Die Lehrer*innen dort haben sich gefreut, dass ich das Thema in den Unterricht bringen will. Sie haben gesagt, sie lernen dabei selbst auch sehr viel.

Was machst du dann mit den ­Schüler*innen?

Ich erkläre, was Gewerkschaften sind und wofür sie sich einsetzen. Dazu zeige ich anhand eines Films vom DGB, wo wir im Alltag mit gewerkschaftlichen Erfolgen zu tun haben. Dabei kläre ich Fragen wie: Was ist ein Tariflohn? Im Anschluss erarbeite ich mit den Schüler*innen eine Gegenüberstellung: Was sind die Interessen der Arbeitgeber, was die der Beschäftigten? Und dann frage ich: Auf welcher Seite werdet ihr zu Beginn eures Arbeitslebens stehen?

Was ist dir besonders in ­Erinnerung geblieben?

Ich hatte gefragt, warum die Arbeitgeber auch denen Tariflöhne zahlen, die nicht in der Gewerkschaft sind. Erschreckend oft kam als Antwort: Die haben eine soziale Ader, denen geht es um Gleichberechtigung. Es kam auch die Frage, wie hoch der Gewerkschaftsbeitrag ist. Da habe ich die Ein-Prozent-Regelung erklärt und dass wir nur von unseren Mitgliedern Geld bekommen und nur ihnen Rechenschaft schuldig sind.


Die Jugend- und Auszubildendenkonferenz

Vom 25. bis zum 27. Januar trafen sich rund 60 Mitglieder von Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) in Hessen und Thüringen in Frankfurt. Referent*innen von IGBCE, DGB, HessenChemie und Kultusministerium Hessen diskutierten mit den Teilnehmer*innen. Abgerundet wurde das Programm von einer Reihe von Workshops zur JAV-Arbeit. Die Konferenz war eine Kooperation von IGBCE Hessen-Thüringen und IGBCE BWS.