Arbeit & Gesellschaft

Aktionstag

Für faire Preise

Tausende Beschäftigte demonstrierten bei einem bundesweiten Aktionstag für einen bezahlbaren Industriestrompreis. Denn die hohen Strompreise gefährden Deutschlands energieintensive Industrien.

Rund 400 Beschäftigte aus den IGBCE-Branchen kamen zur Kundgebung in Neuss.

Foto: Frank Rogner

Der Demonstration bei Currenta am ChemPark Uerdingen hatten sich mehr als 250 Beschäftigte angeschlossen.

Foto: Frank Rogner

Die hohen Energiepreise belasten immer mehr Unternehmen aus energieintensiven Branchen. Die IGBCE und ihre Schwestergewerkschaften IG Metall und IG BAU haben deswegen im März einen bundesweiten Aktionstag organisiert. Dem Aufruf folgten branchenübergreifend Tausende Beschäftigte, es gab Dutzende Demonstrationen und Kundgebungen. Allein im Bezirk Augsburg protestierten beispielsweise rund 700 Beschäftigte, an einer gemeinsamen Kundgebung der IGBCE-Bezirke Düsseldorf und Niederrhein beteiligten sich rund 400 Menschen.

Der Hintergrund: Seit Beginn der Energiekrise hat sich der Börsenstrompreis in Deutschland mehr als versiebenfacht – von 30 Euro pro Megawattstunde im Jahr 2020 auf 235 Euro 2022. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich an der Spitze. Bleiben die Preise im internationalen Vergleich so hoch, stehen die energieintensive In­dus­trien in Deutschland – darunter vor allem IGBCE-Branchen wie Chemie, Glas, Keramik oder Papier – nach Überzeugung der Gewerkschaften mittel- bis langfristig vor dem Aus. Wenn es nicht gelingt, die Grundstoffindustrie in Deutschland zu halten und dabei geschlossene Wertschöpfungsnetzwerke hierzulande zu stärken, wird das dramatische Auswirkungen auf den gesamten Industriestandort und damit auf die Arbeitsplätze im Land haben – weit über die direkt betroffenen Branchen hinaus.

Bezahlbarer Strom ist unverzichtbar.

Torsten Falke,
Leiter des IGBCE-Bezirks Augsburg

Der Ernst der Lage war auch bei der gemeinsamen Kundgebung der IGBCE-Bezirke Düsseldorf und Niederrhein vor den Werktoren bei Speira in Neuss spürbar. Mehr als 400 Beschäftigte aus den IGBCE-Branchen Aluminium, Chemie und Papier folgten dem Ruf der Gewerkschaften, um ihren Unmut über die aktuellen Entwicklungen in der energieintensiven Industrie zum Ausdruck zu bringen. „Der Überfall auf die Ukraine hat die Karten neu gemischt“, sagte Natalie Mühlenfeld, Bezirksleiterin im IGBCE-Bezirk Düsseldorf. Vielerorts werde die Produktion gedrosselt. So wie im Rheinwerk von Speira. Laut Arbeitgeber soll die Hütte am Standort vollständig heruntergefahren werden. 300 Arbeitsplätze sind betroffen. Die Politik muss laut Mühlenfeld jetzt die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass „in­dus­tri­el­le Wertschöpfung in unserem Land eine Zukunft hat“.

In Brunsbüttel demonstrierten rund 200 Teilnehmende.

Foto: Cordula Kropke

Die Kundgebung in Meitingen war eine von 40 im gesamten Bundesgebiet.

Foto: Michael Kniess

Eine Aktion der Beschäftigten der Deutschen Steinzeug Cremer und Breuer in Alfter-Witterschlick (Bezirk Köln-Bonn).

Foto: IGBCE-Bezirk Köln-Bonn

Mit Fahnen und Plakaten: Kundgebung vor den Werktoren bei Speira Aluminium in Neuss.

Foto: Frank Rogner

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Der Demonstration bei Currenta am Chempark Uerdingen (Bezirk Niederrhein) hatten sich mehr als 250 Beschäftigte angeschlossen. Lautstark richtete sich der Unmut gegen die unverständliche Haltung der Politik. „Ohne bezahlbaren Strom gehen im Chempark schneller die Lichter aus, als wir gucken können“, sagt der Currenta-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Detlef Rennings. „Wir sind ein Verbundstandort, und wenn hier einer aus der Kette ausbricht, fliegt uns das ganze System um die Ohren.“

In Meitingen (Bezirk Augsburg) forderten die Gewerkschaften vor rund 700 Beschäftigten aus der Chemie- und Stahlindustrie sowie im Beisein des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) die Einführung eines Industriestrompreises noch 2023. „Bezahlbarer Strom ist ein unverzichtbarer Baustein, um die Transformation erfolgreich zu meistern, sowie für Standort- und Beschäftigungssicherung“, betonte Torsten Falke. In Richtung der bayerischen Staatsregierung forderte der Leiter des IGBCE-Bezirks Augsburg „mehr energiepolitische Weitsicht der Landesregierung“. Er verwies darauf, dass im Großraum Augsburg allein knapp 3.000 Jobs in den Industrieparks in Bobingen und Gersthofen sowie in der Papierindustrie gefährdet seien.

Auch bei Etex Exteriors im Bezirk Nordwestfalen gab es eine Aktion der Belegschaft.

Foto: IGBCE-Bezirk Nordwestfalen

Die Betriebsräte und Vertrauensleute bei B. Braun in Melsungen (Bezirk Kassel) machten ihre Forderung eindrucksvoll deutlich.

Foto: IGBCE-Bezirk Kassel

Bei Sakret haben sich die Betriebsrät*innen mit den gestiegenen Energiekosten und den Auswirkungen für ihr Geschäftsfeld auseinandergesetzt.

Foto: Bezirk Dortmund

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Industriepolitik 2030+

Zwölf Forderungen

Für die IGBCE ist das Ziel klar: Deutschland muss internationaler Vorreiter für die smarte Transformation werden – bei der Energieversorgung, bei der industriellen Produktion mit innovativen und klimaschonenden Technologien sowie bei gut ausgebildeten Beschäftigten. Was es aus Sicht der Gewerkschaft dafür braucht, hat sie im Positionspapier „Anforderungen an die Industriepolitik 2030+“ mit zwölf zentralen Forderungen zusammengefasst. „Der Wirtschaftsstandort Deutschland befindet sich am Scheideweg“, mahnt der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis. „Wir brauchen jetzt endlich den großen Wurf und den Mut und die Power, die Transformation der Industrie mit Hochdruck anzupacken. Nur so können wir eine schleichende Deindustrialisierung vermeiden.“ Jetzt gelte: „Klotzen statt kleckern!“

Eine auf die Zukunft ausgerichtete Industriestrategie muss eine europäische Strategie sein, heißt es unter anderem in dem Papier. Kernelement sei es, Investitionen anzureizen. Denn Europa habe in den vergangenen Jahrzehnten ganze Produktionsbereiche abwandern lassen – und zahle dafür aktuell einen hohen Preis. Aus Sicht der IGBCE braucht es zudem dringend einen staatlich abgesicherter Industriestrompreis für die kommenden zehn Jahre – idealerweise für ganz Europa. Nur so können energiekostenbedingte Standortnachteile gegenüber anderen Regionen der Welt kompensiert werden. Das komplette Positionspapier findest du auf igbce.de.